Dienstag, 18. August 2020

127) der Feind
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Der Feind

Im Halbdunkel sah er, wie jemand langsam schleichend hereinkam. Er selbst saß zusätzlich in einer dunklen Ecke, hatte sein Gewehr auf den Eingang gerichtet und wartete. Der Eintretende ließ seine Augen beobachtend durch den Raum des halbverfallenen Gebäudes gleiten, dann ging er im Zimmer weiter, wollte anscheinend jeden Winkel durchstöbern.
„Hände hoch!“ – sagte der Versteckte fast flüsternd. „Leg die Waffe sanft auf den Boden, ohne dich umzudrehen!“ – befahl er weiter. „Sehr schön! Jetzt, Hände hinter den Kopf und in die andere Ecke! Dort, wo das Licht ist.“ Der andere tat, wie ihm aufgetragen wurde. „Du wirst uns nicht entkommen. Überall sucht man dich.“ „Sprich leiser, sonst erschieß ich dich!“ Er hielt eine Pause. „Wenn man mich hier findet, nehme ich dich mit in den Tod.“ Er ging zu der Waffe und hob sie auf.
Die Schritte um das Haus entfernten sich. „Hier ist er nicht. Da hinüber zur nächsten Ruine.“ Sowohl der Eingetretene, als auch der Versteckte begannen tiefer zu atmen, der eine weil er es wieder durfte, der andere, weil er es wieder konnte. „Für wen oder Wofür riskierst du, dass man auf dich Jagd macht. Du könntest ein ruhiges Leben haben, eine Arbeit, eine Familie, ein Haus.“ – „Tja, dann wäre ich nicht besser als du! Ein Handlanger, der der Macht dient.“ – „Ich weiß, dass nicht alles ideal läuft. Aber könntest du mir ein besseres System zeigen?“ – „Und weil du lieber einen dicken Bauch bekommen willst, machst du jetzt einfach mit.“ – „Wenn es nur solche Leute, wie dich, geben würde, wäre die Menschheit schon ausgestorben.“ – „Naja, dann müssten sich die Mächtigen neue Untertanen suchen. Aber sie würden wahrscheinlich die untersten unter sich erniedrigen. Zum Beispiel solche Leute, wie dich. Siehst du, deshalb sind sie eigentlich von uns abhängig und nicht wir von ihnen. Wer würde denn sonst die Drecksarbeit für sie tun und dazu auch noch Steuern bezahlen, um ihr System aufrechtzuerhalten?“ – „Aber irgendeine Ordnung muss es ja geben, sonst würde doch jeder tun und lassen, was ihm gefällt.“ – „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder einer macht sich zum Führer und befiehlt, was Recht und Gesetz ist, oder alle beginnen, darüber nachzudenken und finden eine gemeinsame Lösung.“ – „Demokratie? Das funktioniert doch nicht. Der Mensch wird niemals für das Gemeinwohl leben.“ – „Und deshalb ist es dann besser, wenn nur einer alle anderen terrorisiert, oder eine kleine Gruppe bestimmt, was passieren soll? Sollten nicht lieber alle unterrichtet werden und erkennen, was richtig ist?“ – „Du bist ein Träumer!“ – „Möglich! Die Menschheit geht aber in diese Richtung. Zuerst regierte nur der Pharao und Leute, wie du, ließen sich mit ihm begraben. Heute haben wir schon Parlamente.“ – „Die heutige ist eine gottlose Welt.“ – „Früher spielte einer den Gott. Aber sage mir, warum du so an die jetzige Macht glaubst?“ – „Sie macht unser Land wieder groß. Es gab eine Zeit, als mutige Kämpfer für ihr Land, ihren König und Glauben starben. Was wir heute sehen, sind alles nur egoistische Individualisten.“ – „Weißt du, wie es damals den einfachen Leuten ging? Damit so ein Führer den Ruhm in die ganze Welt verbreiten konnte, musste viele leiden, hungern und sterben.“ – „Wer interessiert sich denn schon für den kleinen Mann?“ – „Ist nicht der kleine genauso gut oder schlecht, wie der große?“ – „Und deshalb macht ihr dann ab und zu einmal eine Revolution, bei der tausende ums Leben kommen und die ganze Ordnung über den Haufen geworfen wird.“ – „Wie viele müssen sterben, um diese Ordnung aufrechtzuerhalten? Und dann gibt es natürlich immer Handlanger, wie dich, denen ein paar Krümel hingeworfen werden, damit sie ihre Köpfe für die großen hinhalten. Oder möchtest du vielleicht behaupten, dass du mehr als ein paar Krümel bekommst?“ – „Es kommt darauf an, was du Krümel nennst. Ich führe ein normales Leben.“ – „Und wie sieht es mit deinem Gewissen aus? Hast du dir manchmal darüber Gedanken gemacht, dass du als Handlanger nicht denken, sondern nur Befehle ausführen sollst? Du musst nämlich wissen, dass Denken für die Ordnung schädlich ist!“ – „Du wirst mich nicht überzeugen! Bei euch gibt es nur Chaos, da würde überhaupt nichts funktionieren!“ – „Wusstest du, dass Ordnungshüter zur Zeit der Römer Sklaven waren. Kein stolzer Bürger hätte sich damals hingegeben, anderen nachzuspionieren.“


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