Montag, 24. August 2020

169) 1) Asien, ferner Osten 2) Wanderschaft in der Ukraine
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1) Asien, ferner Osten
2) Wanderschaft in der Ukraine


1) Asien, ferner Osten

Ein Sprachlehrer unterrichtet einen in Europa oder Amerika lebenden Asiaten. Die Aufgabe ist nicht leicht, obwohl der Asiate eigentlich fließend Englisch spricht, aber er hat einfach keine Ahnung von Grammatik. Wie konnte er dann Englisch lernen? Die asiatischen Schulen arbeiten noch immer nach preußischen Grundsätzen. Von Pädagogik kann hier nicht die Rede sein. Um chinesische, japanische oder koreanische Schrift zu lernen, müssen ungefähr dreitausend Schriftzeichen auswendig gelernt werden. Soviel auswendig zu lernen ist grundsätzlich der größte Feind jedweder pädagogischer Methoden. Die meisten asiatischen Kinder bleiben einfach mittelmäßige Befehlsausführer, die wenigen, die herausragen haben ein Gehirn, wie ein Datenspeicher. So lernen sie auch Englisch. Sie lernen dreitausend Sätze mit fünftausend Wörtern auswendig, sprechen aus diesem Grund eigentlich ganz gut zum Beispiel Englisch, haben aber meistens keine Ahnung, warum sie was und wie sagen. Der europäische oder amerikanische Lehrer müsste bei so einem Schüler zuerst einmal diesen Unterwerfungsgeist brechen, der nächste Schritt bestände darin, den Begriff Schönheit der Sprache in den Unterricht einzubauen, um das nur auf Nützlichkeit ausgerichtete Denken mit Interesse am Geist einer Sprache und Kultur zu ersetzen.
Er kommt also ins Haus des Asiaten und wird mit ausgestreckter Hand begrüßt (so viel hat der Asiate schon übernommen). Die Verbeugung des Asiaten ist sehr tief, der Lehrer ist für ihn ein kleiner Gott. Ein Intellektueller mit einem bisschen alternativen oder lockeren Aussehen hat von vornherein fast keine Chance. Die Frau des Schülers steht verbeugt hinter ihrem Mann die Hände vor sich in ihrem Kimono versteckt, die Augen auf den Boden gerichtet. Der Lehrer wird in die gute Stube geführt in dem es einen Tisch und zwei Stühle gibt. Während Schüler und Lehrer einander gegenüber sitzen, zwischen sich den Tisch, hockt die Frau des Asiaten in der Ecke und macht für ihren Mann Aufzeichnungen, spricht aber nie ein Wort. Der Asiate stellt fast nie eine Frage, der Lehrer muss also herausfinden, was der Schüler vielleicht nicht weiß oder noch nicht verstanden hat. Jede Korrektur empfindet der Asiate fast wie eine Erniedrigung. Er lernt sehr fleißig, aber eigentlich alles nur auswendig von den Aufzeichnungen, die seine Frau in der Ecke für ihn gemacht hat. Ein solcher Schüler ist für einen preußisch denkenden Lehrer ein siebter Himmel, für einen modernen in Pädagogik ausgebildeten auf Kreativität aufbauenden aber eine Katastrophe.


2) Wanderschaft in der Ukraine

Es war Freitag vier Uhr nachmittags und seine Vorräte waren fast zu Ende. Er wusste, dass er am Wochenende nirgends einkaufen konnte, also unbedingt ein Dorf und dort ein Geschäft finden musste, und zwar ein privates, kein staatliches. In staatlichen Geschäften gab es außer ungenießbarem Schwarzbrot und ein paar Einmachgläsern mit Kompott oder Fleisch meist nichts. Endlich stiegen ein paar Dächer von Lehmhäusern hinter einem Hügel auf, er beschleunigte seine Schritte. Ein kleines Häuschen mit der Aufschrift „магазин“ = Geschäft, sah ihm entgegen. Als er näher kam, hörte er von drinnen durch die offene Tür lautes Gelächter und Geschrei. Drei Frauen, zwei hinter dem Pult und eine davor, auf dem Pult Speck, Brot, Tomaten, Zwiebeln und so weiter, und ein paar Flaschen Wodka und Mineralwasser. Die meisten Wodkaflaschen waren schon leer. Er stand am Eingang und fragte höflich, ob er noch etwas einkaufen könnte. In dem lauten Gelächter gingen die verständlichen Worte unter. Dieses Geschäft war seine einzige Möglichkeit, noch etwas zu bekommen, deshalb trat er auf die Schwelle.
Als er da so stand, nahm die Frau, die vor dem Pult stand, eine noch halb volle Wodkaflasche, füllte ein großes Limonadenglas mit dem Inhalt und drückte es dem Fremden in die Hand. Den ganzen Tag hatte er nichts gegessen und sollte jetzt Wodka trinken. Als er das Glas so anschaute, wurde das Gelächter der alten Frauen immer lauter. Dann lehrte er das ganze Glas, nahm keine Luft, sondern aß sofort ein Stück Tomate (auf diese Weise brennt der Wodka im Hals nicht). Die alten Frauen machten große Augen, das hätten sie von einem so dahergelaufenen Fremden doch nicht erwartet. Nach kurzer Stille des Erstaunens, brachen die alten Frauen wieder in riesigem Gelächter aus, hielten sich die Bäuche, brachen vor Lachen fast zusammen, und eine klopfte dem Fremden fest auf die Schulter, mit den Worten: „Wie mein Sohn!“ Dann nahm eine hinter dem Pult einen Plastiksack, packte Brot, Käse, Milch, Wurst, Tomaten, Speck und so weiter in den Sack, bis er voll war und überreichte ihn dem Fremden mit einem großen Lächeln im Gesicht. Noch lange hörte er das Gelächter aus dem kleinen Häuschen, als er sich wieder auf den Weg machte. Nach zehn Minuten begann der Wodka, langsam zu wirken. Er ging noch eine paar hundert Meter, dann fiel er unter einen Baum zusammen und schlief ein. Als er wieder aufwachte, war es dunkle Nacht und neben ihm sein Rucksack und der gefüllte Sack mit Lebensmitteln.


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