167) Ausgestiegen
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Ausgestiegen
Sie standen draußen vor der
Kneipe, darauf wartend, wieder hineingelassen zu werden. Die Besucher waren
fast ausschließlich Ausländer, Deutsche. Was brachte diese jungen Leute
zwischen achtzehn und fünfundzwanzig dazu in einem ärmeren Land, als ihrem
Heimatland, zu betteln, Bilder auf die Straße zu malen, Blutplasma zu spenden
und den Tag mit Trinken, Rauchen und Herumliegen zu verbringen? Vielleicht
die südliche Wärme und die Möglichkeit, aus einer Gesellschaft auszusteigen,
mit der sie sich nicht identifizieren konnten oder wollten. Sie sahen zu, wie
der einheimische, spanische Wirt zuerst die alten Holzspäne vom Boden
aufkehrte, schnell aufwischte, die Fenster aufmachte, damit es schneller
trocknete und dann wieder neue Holzspäne auf den kahlen, kalten Fliesenboden
streute. Das ganze erinnerte nur deshalb an eine Kneipe, weil es mehr Fenster
als in einer Wohnung, eine Schenke mit ein paar Zapfhähnen, einer
Kaffeemaschine und ein paar Stühlen mit Tischen gab. Die Tische waren
wichtig, nicht um ihre Getränke darauf zu stellen, sondern um die kleinen
Taschen, in denen diese Aussteiger oder vielleicht auch Abgerutschte ihre
wenige Habe verstauten, vor dem Schmutz auf dem Boden zu schonen. Sie auf den
Boden zu stellen, wäre nicht ratsam gewesen, hatten doch auch selbst sie sich
sehr schnell die örtliche Gewohnheit angeeignet, auf den Boden zu spucken,
oder Müll aller Art ganz einfach neben sich fallen zu lassen. Während sich
jeder ohne weiteres auf der Straße auf den Boden setzte um zu betteln oder
Bilder zu malen, scheute sich da in der Kneipe jeder davor. Mit Sandalen war
es besonders unratsam, sich in die Kneipe zu wagen. Es war ein Treffpunkt für
sie, die da die gleiche Sprache beherrschten, wenn sie um die Fiesta-Zeit
oder am frühen Abend ihr kleines, angeschafftes Geld in Alkohol und
Rauchbares umsetzten, bevor sie sich dann in der Dunkelheit einen Schlafplatz
in irgendeinem verfallenen Haus, auf der alten Burg, in einem Park oder am
Strand suchten. Für langhaarige Hippies waren sie ein bisschen zu jung, wir schreiben
die achtziger Jahre in Málaga. Franco war fast zehn Jahre gestorben und mit
der darauffolgenden Grenzöffnung fanden sich nicht nur reiche Touristen,
Investoren, Rentner, die ein billiges Haus für ihren Lebensabend erstanden,
und Abenteurer ein, sondern auch Aussteiger. Sie alle fühlten, dass sich im
alten, steifen Europa der Nachkriegszeit etwas ändern müsste. Der Landweg
nach Marokko, in das Drogenhändler und Hippies den Cannabis gebracht hatten,
war nur noch von einer dreizehn Kilometer breiten Meerenge versperrt. Die
spanischen Behörden waren überfordert, und wollten sich eigentlich mit diesem
zum größten Teil illegalen Einwanderervolk, von denen die meisten auch über
keine Ausweisdokumente verfügten, nicht beschäftigen. An jeder Ecke verkaufte
irgendein armer Spanier oder Zigeuner das Zeug. Ein neues Holland, aber im
warmen Süden war entstanden. Und wenn sich die Polizei oder irgendein
Ladenbesitzer doch einmal zu sehr von einem dieser Leute gestört fühlte,
wurde diese Person in ein Polizeiauto gesetzt, gefragt, wohin sie gehen
möchte, mit dem Auto zehn Kilometer außerhalb der Stadt in Richtung der
gewünschten Stadt abgesetzt und verabschiedet. Málaga war nur ein Beispiel
für eine deutsche Kolonie, in anderen Städten Andalusiens gab es französische,
englische, dänische oder andere Treffpunkte. Vorher war es die Türkei
gewesen, die diese Leute ungewollt aufnahm, aber nachdem sich die politische
Lage aufgrund des türkisch-kurdischen Konfliktes verschärft hatte, übernahmen
die südlichen Länder des mittleren und westlichen Mittelmeers diese Stellung,
Griechenland, Italien, Spanien und Portugal. Wie die Wandervögel zogen sie
vom steifen, ‘ordentlichen‘ Norden in den noch unkontrollierten Süden.
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Sonntag, 23. August 2020
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