Sonntag, 23. August 2020

167) Ausgestiegen
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Ausgestiegen

Sie standen draußen vor der Kneipe, darauf wartend, wieder hineingelassen zu werden. Die Besucher waren fast ausschließlich Ausländer, Deutsche. Was brachte diese jungen Leute zwischen achtzehn und fünfundzwanzig dazu in einem ärmeren Land, als ihrem Heimatland, zu betteln, Bilder auf die Straße zu malen, Blutplasma zu spenden und den Tag mit Trinken, Rauchen und Herumliegen zu verbringen? Vielleicht die südliche Wärme und die Möglichkeit, aus einer Gesellschaft auszusteigen, mit der sie sich nicht identifizieren konnten oder wollten. Sie sahen zu, wie der einheimische, spanische Wirt zuerst die alten Holzspäne vom Boden aufkehrte, schnell aufwischte, die Fenster aufmachte, damit es schneller trocknete und dann wieder neue Holzspäne auf den kahlen, kalten Fliesenboden streute. Das ganze erinnerte nur deshalb an eine Kneipe, weil es mehr Fenster als in einer Wohnung, eine Schenke mit ein paar Zapfhähnen, einer Kaffeemaschine und ein paar Stühlen mit Tischen gab. Die Tische waren wichtig, nicht um ihre Getränke darauf zu stellen, sondern um die kleinen Taschen, in denen diese Aussteiger oder vielleicht auch Abgerutschte ihre wenige Habe verstauten, vor dem Schmutz auf dem Boden zu schonen. Sie auf den Boden zu stellen, wäre nicht ratsam gewesen, hatten doch auch selbst sie sich sehr schnell die örtliche Gewohnheit angeeignet, auf den Boden zu spucken, oder Müll aller Art ganz einfach neben sich fallen zu lassen. Während sich jeder ohne weiteres auf der Straße auf den Boden setzte um zu betteln oder Bilder zu malen, scheute sich da in der Kneipe jeder davor. Mit Sandalen war es besonders unratsam, sich in die Kneipe zu wagen. Es war ein Treffpunkt für sie, die da die gleiche Sprache beherrschten, wenn sie um die Fiesta-Zeit oder am frühen Abend ihr kleines, angeschafftes Geld in Alkohol und Rauchbares umsetzten, bevor sie sich dann in der Dunkelheit einen Schlafplatz in irgendeinem verfallenen Haus, auf der alten Burg, in einem Park oder am Strand suchten. Für langhaarige Hippies waren sie ein bisschen zu jung, wir schreiben die achtziger Jahre in Málaga. Franco war fast zehn Jahre gestorben und mit der darauffolgenden Grenzöffnung fanden sich nicht nur reiche Touristen, Investoren, Rentner, die ein billiges Haus für ihren Lebensabend erstanden, und Abenteurer ein, sondern auch Aussteiger. Sie alle fühlten, dass sich im alten, steifen Europa der Nachkriegszeit etwas ändern müsste. Der Landweg nach Marokko, in das Drogenhändler und Hippies den Cannabis gebracht hatten, war nur noch von einer dreizehn Kilometer breiten Meerenge versperrt. Die spanischen Behörden waren überfordert, und wollten sich eigentlich mit diesem zum größten Teil illegalen Einwanderervolk, von denen die meisten auch über keine Ausweisdokumente verfügten, nicht beschäftigen. An jeder Ecke verkaufte irgendein armer Spanier oder Zigeuner das Zeug. Ein neues Holland, aber im warmen Süden war entstanden. Und wenn sich die Polizei oder irgendein Ladenbesitzer doch einmal zu sehr von einem dieser Leute gestört fühlte, wurde diese Person in ein Polizeiauto gesetzt, gefragt, wohin sie gehen möchte, mit dem Auto zehn Kilometer außerhalb der Stadt in Richtung der gewünschten Stadt abgesetzt und verabschiedet. Málaga war nur ein Beispiel für eine deutsche Kolonie, in anderen Städten Andalusiens gab es französische, englische, dänische oder andere Treffpunkte. Vorher war es die Türkei gewesen, die diese Leute ungewollt aufnahm, aber nachdem sich die politische Lage aufgrund des türkisch-kurdischen Konfliktes verschärft hatte, übernahmen die südlichen Länder des mittleren und westlichen Mittelmeers diese Stellung, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal. Wie die Wandervögel zogen sie vom steifen, ‘ordentlichen‘ Norden in den noch unkontrollierten Süden.


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