130) Was gut ist, ist einfach gut I
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Was gut ist, ist einfach gut
I
„Nein, keiner kann mehr
rein! Bitte, liebe Leute! Ich spreche mit der Band und bin sicher, dass sie
auch nächste Woche hier spielen.“ – Er schloss die Tür seiner Kneipe und
drängelte sich durch die Zuhörermenge zur Theke durch. Seit neunzehnhundertsechzig
führte er den Music-pub, hatte in diesen zwanzig Jahren so ziemlich alle
Musikrichtungen des zwanzigsten Jahrhunderts zu Gast, aber so etwas hatte er
noch nie erlebt. Seit Wochen war die Kneipe jeden Abend überfüllt. Diese
Jungs waren einfach eine Goldgrube. Nicht zu viel Elektronik, nur einfache
Instrumente, ein Rhythmus der anfänglich ein bisschen seltsam wirkte, kein
wirklicher Gesang, sondern nur die Nachahmung von Stimmen. Ganz egal, ob die
schnelle, lustige oder langsame Stücke spielten, die Musik riss die Zuhörer
mit. Das waren junge Leute, sie hatten ein kleines Hausstudio und nahmen dort
ihre Kassetten auf, die er, der Wirt an der Theke neben den Getränken
verkaufte. Manchmal war er fast eifersüchtig, die verdienten mit ihren Kassetten
mehr, als er mit seinen Getränken, jedes Mal „ausverkauft“. Das waren
eigentlich nur Hobbymusiker, die hatten schon in der Schule zusammen gespielt
und dabei langsam ihren Stil gefunden. Spielten einfach die Seele aus sich
heraus, improvisierten, wie die Größten. Jetzt nach dem Abitur verdienten sie
das Geld fürs Studium. Offene Leute, deren geistiger Horizont kein Brett vor
dem Hirn behinderte. Und das alles in seiner Kneipe. Vielleicht sollte er
seine Räumlichkeiten vergrößern. Und die Zuschauer, wunderbar, forderten eine
Zugabe nach der anderen.
Nach dem Ende des Konzerts
tranken die Musiker vor dem nach Hause-Weg noch ein wohlverdientes, kaltes
Bier und packten langsam ihre Instrumente zusammen. Als sie die Kneipe
verließen, fuhr ein großes Auto vor. „Steigt ein!“ – rief der Fahrer. „Ich
bringe euch nach Hause.“ Die Jungs lehnten nicht ab, mit der ganzen
Ausrüstung war es ziemlich umständlich, die öffentlichen Verkehrsmittel zu
benutzen. „Das war ja wieder ein tolles Konzert! Wo habt ihr das denn gelernt?“
Die Jungs erzählten kurz ihre Geschichte, er hörte eigentlich gar nicht
richtig zu. „Es wäre doch gut mit so einem Kleinbus das ganze Zeug
herzubringen, nicht wahr?“ – und deutete auf die Ausrüstung. „Man müsste nur
ein bisschen Geld machen.“ – fuhr er fort. Jetzt schauten sie auf. „Wer ist
das? Worauf will der hinaus?“ – ging es ihnen durch den Kopf. Als ob er die
Frage geahnt hätte, gab er jedem eine Visitenkarte. „Talentsuche! Super
Möglichkeit!“ Darunter ein wohlklingender Name, Telefon- und Faxnummer. „Ich
arbeite für eine Plattenfirma. Wir suchen solche genialen Leute, wie euch!
Man müsste natürlich etwas Elektronik hineinbringen, die Kleidung – Pop-Rock,
und wirkliche Texte von Liebe und Umweltschutz. Wisst ihr, das ist jetzt
Mode!“ – und noch viel anderes Bla Bla.
Am nächsten Abend kamen die
Mitglieder der Gruppe zusammen, um neue Stück zu probieren, Konzertpläne,
finanzielle Dinge und ähnliches zu besprechen. Aber das Hauptthema war das
Erscheinen des Agenten. Man begann, ein bisschen zu träumen, stellte sich
vor, wie es wäre. „Wenn du einmal entdeckt wirst, hast du es geschafft!“ –
hieß es da. „Oder die machen aus dir eine Eintagsfliege. Wenn du nicht genau
ihre Anweisungen befolgst, lassen die dich wie eine heiße Kartoffel wieder
fallen. Du wärest ihnen ausgeliefert, würdest von ihnen abhängen. Die bauen
dich auf oder ab, wie es denen gerade gefällt.“ Zu einer gemeinsamen
Entscheidung kam es nicht, aber es bestand auch nicht unbedingt die Gefahr
einer sofortigen Trennung. Nach einer Zeit wurde die ganze Sache vergessen.
Die Gruppe hielt viele
Konzerte, fast jedes Wochenende, diese waren sehr erfolgreich und brachten
auch etwas Geld. Natürlich wuchsen auch die Ausgaben. Solange man nur in der
Heimatstadt und Umgebung Konzerte veranstaltete, war es noch ziemlich
günstig, aber weitere Reisen oder gar eine Tournee ließen sich damit nicht
finanzieren. Man musste sich langsam überlegen, ob man Hobbymusiker bleiben
wollte und sich auf das Studium konzentrierte, oder den riesigen Schritt ins
Musikgeschäft wagen wollte. Als die Einnahmen etwas stiegen, meldete sich
auch das Finanzamt. Jetzt hätte man eigentlich einen professionellen Manager
gebraucht, der über die nötigen Geschäftsbeziehungen verfügte. Und dann
erschien der Agent wieder, oder besser nicht nur er, sondern einige dieser
Branche. Doch die Vorstellungen dieser Leute widersprachen in jedem
Gesichtspunkt denen der Gruppenmitglieder. Die Musiker hatten ihre eigenen
Ansichten über ihr Schaffen und Wirken und wollten diese nicht unbedingt für
billigen, verkaufbaren Schund aufgeben. Jedoch wuchsen die Spannungen
innerhalb der Gruppe.
Irgendwann rief der eine
dann heimlich einen der Agenten an. Der musste aber schnell feststellen, dass
sich hier nur der Unfähigste der Gruppe gemeldet hatte. Er hätte diese
Richtung nicht vertreten können, bei der ersten größeren Pressekonferenz wäre
der Luftballon geplatzt. Auch für einen Agenten ist das Leben nicht immer
leicht. Man muss eine Person mit Charakter finden, die bereit ist, ihre
eigene Seele für ein bisschen Geld zu verkaufen. Dumme Leute gibt’s genug,
das sind die, die den ganzen Kram der Werbekampagnen und dann die Kommerz-
oder Mode-Musik fressen und kaufen. Heute Herz-Schmerz, morgen Naturschutz
und Weltfrieden. Oder ein richtiger Mann, natürlich ein bisschen Macho, das
gefällt den Frauen. Er muss für die Gleichberechtigung der Frauen eintreten,
aber zu Hause Ordnung halten, das heißt: Der Platz der Frau ist in der Küche.
Oder: Ich liebe die Natur, und deshalb hab‘ ich mir einen Palast mitten in
den Wald gebaut. Vielleicht eine Frau mit großen Titten, ein Vorbild für die
Frauen und den Männern fallen die Augen raus. Der Snobismus kennt keine
Grenzen. „Ich fahre natürlich ein Hybrid-Auto! Man kann ja nicht mit dem
einfachen Volk die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.“ Dumme Überzeugung
gemischt mit ein bisschen Verstand. Der Star darf nur eine Spur klüger
aussehen, als der konsumierende Durchschnitt.
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Mittwoch, 19. August 2020
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