Donnerstag, 20. August 2020

138) Die Hexenjagd beginnt (Juli 2017)
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Die Hexenjagd beginnt (Juli 2017)

Seit Jahren arbeitet der Schriftsteller dieses Berichts an einem Blog, auf dem man kostenlos Sprachen lernen kann. Die Besucher des Blogs zieht vor allem das Deutsche, Englische, Französische und Spanische an, aber auch das Russische oder unbekanntere Sprachen, wie das Ungarische, gar eine tote, wie das Lateinische finden ihre Interessenten.
Wie man eine Sprache erlernen kann, dafür gibt es die verschiedensten Methoden und Vorstellungen. Bei dem genannten Blog wird nichts übersetzt, sondern alles anfangs durch Bilder, später durch in den früheren Lektionen verwendete Wörter erklärt. Auf diese Weise eignet sich ein Kind eine Sprache an, weil es ja nicht sprechend geboren wird. Ein besonders für den Blog angelegtes Wörterbuch führt den Lerner immer zu der Lektion zurück, in der das gesuchte Wort erstmals vorkommt oder in einen gewissen Themakreis passt.
Am Anfang befindet sich eine Grammatik-Zusammenfassung, die auf der einen Seite dem Lerner helfen soll, auf der anderen aber die Ansichten des Autors widerspiegelt, der durch jahrzehntelanges Studium und eigene Erfahrungen zu Schlussfolgerungen kam, die des Öfteren den an Universitäten und in Lehrbüchern gepredigten Dogmen widersprechen.
Die Arbeit an diesem Werk ist überaus interessant, geht aber langsam voran, während der Linguist sich von Text zu Text, von Wort zu Wort, von einem grammatikalischen Schwierigkeitsbündel zum anderen begibt.
Eines Morgens, als er sich gerade an den nächsten lateinischen Text machen wollte, musste er feststellen, dass die Lektionen für diese Sprache sowohl für ihn selbst, als auch für Besucher nicht mehr erreichbar waren. Ein Schock durchfuhr ihn. War es einem Gegner gelungen, in das Blocksystem einzudringen und es zu blockieren? Wer könnte ein Interesse daran haben, genau die Aneignung einer toten Sprache verhindern zu wollen? Es gab dort weder politische Äußerungen, noch sprachen die geringen Besucherzahlen dieses Teiles des Blockkomplexes dafür, sich gerade darauf zu stürzen.
In seinen Einträgen und Artikeln anderer Teile des Blogs dagegen machte er sich über politische Akteure lustig, kaum einer wurde verschont, Kirche, neofaschistische Parteien in Europa, Israel und so weiter. Er hatte sich viele Feinde und wenige Freunde geschaffen. Aber dies waren nicht die Sprachenblogs, sondern seine literarischen Werke.
Oder vielleicht ein Konkurrent auf dem Sprachenmarkt? Es gab sowieso schon viele Besucher in der ganzen Welt.
Die Werbung für den Blog hätte eigentlich viel gekostet, doch er eröffnete bei Portalen, wie Facebook oder LinkedIn, um nur die wichtigsten zu nennen, immer wieder neue Konten, verschickte an tausende Privatleute seine Kontaktanfragen, wenn diese bestätigt wurden, konnte er diesen Leuten einen kurzen informativen Text mit dem Link zu seinem Blog schicken. Kamen die Portale aber dahinter, dass er für diese Art der Werbekampagne nicht bezahlte, blockierte man ihm kurzum die Konten. Jede Konkurrenz auf dem Markt war ihnen gefährlich, vor allem wenn es sich um einen Blog handelte, der endlich einmal etwas qualitativ Gutes herstellte.
Als nächstes sah er nach, ob vielleicht etwas mit dem Innenleben des Blogsystems passiert war. Da stellte sich heraus, dass Google selbst diesen Blog-Teil blockiert hatte. Er musste Google dankbar sein, dass es der Allgemeinheit so eine Möglichkeit bot. Aber musste nicht auch Google ihm dankbar sein, weil er mit seiner unbezahlten Arbeit nicht nur seinen Blog sondern auch Googles System berühmt machte. Also, was steckte dahinter, was waren die Gründe?
Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen waren abgelaufen und ein Populist der schlimmsten Art hatte gewonnen, angeblich mit Hilfe von russischen Hackern. Rechtsgerichtete und Islamisten verbreiteten Schreckensnachrichten im Internet, sogar sonst eigentlich liberale Politiker und Medienakteure riefen nach Kontrolle dieses Mediums, die Panik war vollständig. Facebook, Twitter, LinkedIn, Google und andere wurden aufgerufen, ihre eigenen Portale zu „säubern“. Hatte denn aus der Geschichte niemand etwas gelernt? Im Mittelalter bestimmte die Kirche, was von den Mönchen vervielfältigt werden sollte. Dann tauchte ein Soros-Agent auf, der Erfinder des Buchdrucks, Gutenberg. Die Kirche, der König und Adel zeigten sich empört und warnten davor, dass das Volk nun schädliche Schriften lesen würde. Was für eine Parallele zur heutigen Zeit! Aber im einundzwanzigsten Jahrhundert müssten wir eigentlich wissen, dass der Buchdruck wesentlich zur Demokratisierung eines Teils der Welt beigetragen hat.
Aber Google widerstand der Versuchung nicht, dem Verlangen dieser ungebildeten Schreihälse genugzutun, sondern hatte ein Programm in Betrieb gesetzt, um alle Inhalte der Blogs durchzusehen. Dieses Programm war auf ungefähr hundertfünfzig heute gesprochene Sprachen eingestellt und filterte alles als gefährliche Geheimsprache heraus, was nicht in dieses Schema passte. Lateinische oder Sanskrit-Texte wurden nur dann akzeptiert, wenn sie mit den Namen Cicero, Horatius versehen waren. Aber sein Blog lehrte diese alte, würdige Sprache mit eigenen Texten ohne Übersetzung, und war deshalb im Sieb hängengeblieben. Wann wird der kleine Mann endlich erwachen und sich gegen diese Willkür auflehnen? Wem soll man die Macht und das Bestimmungsrecht geben, zu entscheiden, was wir lesen dürfen, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass sich dies wieder zu einer diktatorischen Zensur auswächst? Sollen wir vielleicht die Macht der Kontrolle über das Internet einem Trump, Putin, Orbán oder chinesischem Xi Jinping geben?


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