Freitag, 14. August 2020

114) Liebe in alter Mode
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Liebe in alter Mode

Noch schnell ins Blumengeschäft, eine rote Rose. In seinen Ohren klang ihm das Lied von Heino „Schenk ihr eine rote Rose“. Er war ein bisschen aufgeregt, hatte er sie doch nicht, wie seiner Zeiten, am Arbeitsplatz, auf einer Hochzeit oder durch ein Heiratsinstitut kennengelernt. Diese Firmen waren alle bankrottgegangen, als das Internet kam und die neuen nannten sich nur „Partnersuche“. Dort gab es keine hübsche Beraterin, die einem Tipps zuflüsterte, was man schreiben sollte, um im besten Licht zu erscheinen. Jetzt musste man selbst nachdenken. Dann wurden zehntausend elektronische Nachrichten ausgetauscht, sogenannte E-Mails. Hier lernte er schreiben, wie Cyrano de Bergerac, wusste eigentlich schon alles über sie, hatte auch tausend Mal gelogen. Tja! Wie überredet „Mann“ „Frau“? Das kostete Nerven, Zeit, Energie. Sie hatte zwar ein Foto geschickt, aber das war natürlich keine Garantie, wahrscheinlich genauso aufgearbeitet, wie sein eigenes.
Es war Winter und die Rosen im Geschäft kamen mit dem Flugzeug aus Afrika, die waren noch immer billiger, als sie hier im Glashaus zu züchten. Auch er hatte schon ein paar Mal seinen Arbeitsplatz wechseln müssen, weil in Entwicklungsländern billiger gearbeitet wurde, oder ein Einwanderer für einen niedrigeren Lohn bereit war, die Aufgaben zu übernehmen. Diese globale Welt gefiel ihm nicht. Jetzt war er fünfzig und musste sich ständig weiterbilden. Jeden Abend saß er nach der Arbeit zu Hause und lernte Englisch oder etwas Neues auf seinem Fachgebiet. Warum musste er eine andere Sprache lernen? War nicht die Deutsche die schönste, ausdrucksreichste und schwerste auf der Welt?
Er wählte eine schöne, große Rose mit einem langen Stiel. Noch schnell eine Zigarette und dann ein Kaugummi. Zu seiner Jugend war das Rauchen noch männlich. Marlboro-Werbung: Ein Cowboy auf seinem Pferd und vor ihm die weite Prairie. Zehn Minuten vor der verabredeten Zeit traf er dort ein. Er hatte gedacht, dass der von ihr vorgeschlagene Platz ein ruhiger Ort sei, aber hier standen schon einige Leute. Zerrissene Jeans, Mädchen fast im Bikini, ein farbiges Durcheinander. Doch eines hatten sie alle gemein, sie waren jünger als er und in ihren Händen trugen sie ein Handy, entweder um etwas zu lesen, oder um etwas zu schreiben oder spielen. Er zog seinen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heraus, den er noch hatte lesen wollen.
Aber warum hatte er ihn eigentlich aus der Tasche gezogen? Er wusste genau, dass er sich jetzt nicht darauf konzentrieren konnte. Vielleicht, um nicht zu sehr den Eindruck zu erwecken, dass er doch auf sie wartete. Ein Blick auf seine teure Armbanduhr verriet ihm, es war noch nicht so weit. Er hielt die Rose fest und fühlte die Dornen. Warum musste so ein schönes Ding so stachelig sein? Wer leidet wohl mehr, die Rose, die ihre Anbeter durch die Dornen fernhält, oder die Anbeter, die sich daran stechen? Wahrscheinlich beide gleich viel, nur anders.
Jetzt bemerkte er auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes eine Person, die der glich, auf die er wartete. Das musste sie sein, weil die besprochenen Kennzeichen, in seiner Hand Rose und Zeitung, in ihren Hut, darauf hindeuteten. Sie war ziemlich pünktlich, nur drei Minuten zu spät, das war nichts. Eine ihrer positiven Eigenschaften, oder nur die Wichtigkeit des Treffens? Es würde sich herausstellen. Er gab ihr noch keinen Kuss auf den Mund, sondern nur einen auf die linke und rechte Backe, dabei legte er die Hand leicht um ihre Hüfte und zog sie zärtlich näher. Sie wehrte nicht ab, ließ sich führen. Dann überreichte er die Rose. Das Papier um den Stil war ein bisschen gerötet, deshalb nahm sie schnell zwei Taschentücher hervor, eines für die Rose und mit dem anderen behandelte sie seine Hand.
Die ersten Worte waren gewechselt, die ersten Berührungen ausgetauscht, besser hätte es nicht laufen können. Als Programmpunkt für den Abend hatte er eigentlich an ein Konzert oder Theaterstück gedacht, doch dies hatte sie abgelehnt, weil sie meinte, dass es später noch viele Gelegenheiten geben würde, an denen man sich weniger zu sagen hätte und erst wieder neue, gemeinsame Erlebnisse sammeln müsse. Er führte sie also auf ihren Wunsch in eine kleine, gemütliche Gastwirtschaft. Es war auch nicht so teuer, weil sie als moderne Frau darauf bestanden hatte, die Hälfte der Rechnung zu begleichen. Zudem war es offensichtlich, ihren Arbeitsplatz beurteilend, dass sie mehr als er verdiente. Der Kellner kam, brachte die Speisekarte und wand sich ihr zu. Ein leichter, trockener Weißwein. Er stimmte zu. Natürlich trat hier sofort das nächste Problem auf: Was sollte er dazu essen? Sie bestellte Fisch mit Reis und Gurkensalat, er nickte nur. An diesen Kulturschock musste er sich erst gewöhnen. Kein Bier, kein Schnitzel mit Pommes, kein Schnaps danach, und vor allem keine Zigaretten. Was für eine Welt!
Sie verstand auch nichts vom Fußball, sah sich lieber Tennis an, nahm drei Mal in der Woche an einer Aerobic-Stunde teil. Ein bisschen moderne Malerei und Esoterik, Mozarts Don Giovanni im Porsche mit Donna Elvira im Bikini, „Sauls Sohn“ musste man gesehen haben, sie war „up to date“. Er würde sich in diese Richtung weiterbilden müssen und seine Halbkultur durch eine andere ergänzen. Sie merkte, dass er nicht zur gleichen Gesellschaftsschicht gehörte, nicht die gleichen Kreise frequentierte. Jede Zeit hatte seine eigenen Symbole. Zur Zeit seiner Mutter waren es Moped, Elvis und Miniröcke gewesen. Die Frau, die jetzt vor ihm saß, wäre in fünfzig Jahren ein Clown. Nur der Fußball und Bier schienen ihm ewig.
Nach dem Abendessen ein Spaziergang durch den Park um den kleinen, künstlichen See, besser als am Flussufer entlang, weil es hier wenigstens nicht so viele Stechmücken gab. Die leichte Jacke trug sie über die Tasche gehängt, so dass die Schultern und die Haut über den Busen freilagen. Das dünne Kleidchen lag eng an. Die Schultermuskulatur schon ein bisschen eingefallen, um die Hüfte nur ein paar Kilo zu viel, der Hintern mehr platt und die Haut porig, aber für ihr Alter noch ganz in Ordnung. Das passte zu seiner flachen Brust, dem kleinen Bierbauch und den dünnen Armen. Sie gefielen sich.
Warum brauchten sie einander? Vielleicht mehr, um das Wochenende und den Urlaub nicht allein verbringen zu müssen. Sie besprachen noch das nächste Treffen. Spät brachte er sie zu ihrem Auto und ging zu Fuß nach Hause.


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