Mittwoch, 12. August 2020

110) Selbstbetrug
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Selbstbetrug

Als er da vor mir saß und erzählte, funkelten seine traurigen Augen:
Mit zwanzig probierte ich es zum ersten Mal aus, weil ich märchenhafte Geschichten darüber gehört hatte. Stell dir vor, eine ganze Nacht mit einem hübschen Mädchen! Am nächsten Morgen konnte sie kaum normal laufen. Es ist richtig, dass ich nur drei Mal kam, aber anscheinend gefiel ihr, dass sie mich die ganze Nacht in sich fühlte. Es ist wie eine Droge, es macht psychisch abhängig. Wer möchte nicht jeden Tag dieses Gefühl haben? Der Hormonausschuss, den man dabei fühlt, geht durch den ganzen Körper. Ja, ein Orgasmus ist einfach großartig, oder nicht?
Ich konnte nur nicken.
Er fuhr fort:
Ich probierte auch andere Mittel aus, gerade was erhältlich war, oder ich mir eben leisten konnte. Dieser Spaß ist nämlich nicht ganz billig. Eigentlich funktionierte auch das Training nicht so schlecht. Damals spielte ich Fußball und Wasserball, war sportlich gebaut. Dann stieg ich auf Body-Building um. Das passt so zusammen, ein schöner Mann, der immer kann, das ist der Traum jeder Frau! Aber das weibliche Geschlecht lässt sich nicht immer nur durch einen schönen Körper überzeugen. Ein gepflegtes Aussehen, modische Kleidung, ein teures Auto, ein gutes Restaurant oder Opernabend, eine gute Wohnung gehören dazu. Es ist erstaunlich, wie viele Frauen nicht nur über Kleidermarken, sondern auch Automarken und ihre technischen Daten, Wohnungen und Architektur wissen. All dies ist noch kostspieliger als die sexuellen Hilfsmittel. Aber woher soll man die Mittel nehmen, wenn man sie nicht stehlen will? Also fing ich an, Geldgeschäfte anzubieten. Der versprochene Zinssatz lag meist drei bis vier Prozent höher als der bei Banken. Man reichte mich von Hand zu Hand. Jede Krise in der Wirtschaft, jeder Bankrott einer Firma, Ausbruch eines Krieges oder Schwankung auf der Börse half mir, zu erklären, warum ich nicht nur die Zinsen, sondern auch das Grundkapital nicht zurückzahlen konnte. Aber mein Wagemut, der anscheinende Erfolg und Stil meines Lebens bewegte die Leute, mir immer neues Geld zu überantworten. In meinem Leben sahen sie alle ihr Ideal, reich, sportlich und viele Frauen. Die Vorstellung über einen ganzen Mann. Aber auch ich selbst könnte mir kein besseres oder anderes Leben denken. Was wäre ich denn ohne all das?
Jetzt machte er eine kleine Pause, schien niedergeschlagen und müde. Irgendetwas bedrückte ihn.
Ja, heute geht es nicht mehr. Nach dreißig Jahren wirken diese Mittel nicht mehr. Aber es gibt eine Möglichkeit!
Er hielt kurz inne und seine Augen funkelten wieder. Er hob die Hand, wobei er den Zeigefinger ausstreckte, als ob er sagen wollte: „Achtung!“ Laut brach es aus ihm heraus:
Ein Implantat! Und zwar kein einfaches! Die Zusammenarbeit von Medizin und Technik macht es heute möglich, in den Unterkörper eines Mannes ein solches Ding einzubauen, das auf Knopfdruck das Geschlechtsteil aufpumpt. Stell dir vor, du hast das Mädchen ausgezogen, sie ist unten nass geworden, du drückst auf den Knopf, er steht und es kann losgehen, wie auf Befehl! Wann und wo du willst!
Er machte eine bedeutungsvolle Pause, um zu sehen, welchen Eindruck das alles auf mich gemacht habe. Oder vielleicht sah er auch durch mich hindurch, weil er unbekümmert in sich hineinstrahlte.
Die ganze Nacht kannst du, sie wird denken, dass du ein Supermann bist. Natürlich kannst du selbst nicht einen Orgasmus nach dem anderen haben, aber du kannst sie beglücken.
Und hier hätte ich eigentlich die Frage stellen müssen: Gut, du kannst sie beglücken. Aber was macht eine Frau wirklich glücklich? Ich selbst hätte die Frage wahrscheinlich nur unzulänglich und unvollständig beantworten können.
Es liegt nahe, dass für Frauen besonders in späteren Jahren nicht unbedingt die Leistung eines Mannes im Bett das wichtigste ist. Wenn sie dann so einen Supermann halten wollten, der davon überzeugt ist, dass der Sex unheimlich wichtig ist, müssten sie ihn jedes Mal mit einem vorgespielten Stöhnen betrügen, wobei auch er sie betrügen würde, weil er selbst eigentlich kaum mehr einen richtigen Orgasmus hat.


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