65) Mangel, Realität, Mystik, Technik, Moral, Prinzipien
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Mangel, Realität, Mystik, Technik, Moral,
Prinzipien
Ein amerikanischer Moralphilosoph soll auf die
Frage, wie er sich über Moral äußern könne, wo er doch so unmoralisch lebe,
geantwortet haben: „Haben Sie schon einmal einen Wegweiser gesehen, der auch
in die Richtung geht, in die er zeigt?“
Es scheint mir an dieser stelle angebracht, zu
erwähnen, dass Moral, die Regeln sind, die uns von der Gesellschaft
aufgezwungen werden und Prinzipien die, die jeder für sich selbst und in sich
selbst verfasst.
In New York gibt es tausend Regeln und Gesetze.
Angefangen bei Regeln im Lift, Haus, Park, Verkehr, Büro und so weiter ist
alles ordnungsgemäß geregelt. Unser Leben würde wahrscheinlich nicht mehr
funktionieren, würden wir sie alle einhalten. Aber wenn der Mensch noch
erwachsener wird, lassen sich diese vielleicht in Hinweise umwandeln. In
diesen großen Städten sind wir also Meister geworden, diese Hindernisse wie
im Slalomlauf zu umgehen.
In ländlichen Gegenden, wie zum Beispiel zwischen
Mississippi und Missouri dagegen, in denen, wenn überhaupt, nur Kleinstädte
existieren, leben sehr viele Leute in Einsiedlerhöfen und treten sich nur in
den Kneipen gegenseitig auf die Füße. Genau dort, wo man sich einen Haufen
Regeln und Gesetze eigentlich sparen könnte, weil man sowieso keinen stören
würde, sind die Leute noch religiöser und moralischer. Als ob in ländlichen
Gegenden, in der Einsamkeit eine Art Mangel an Regeln und Moral empfunden
würde. Die Frage ist nur, warum die Leute etwas, was ihnen Nutzen bringt,
aber deren Funktion sie nicht immer verstehen, mit etwas Anderem vertauschen,
was ihnen keinen Nutzen bringt und sie auch nicht verstehen.
Nun, das gleiche scheint, für die Mystik zu
gelten. Nachdem zum Beispiel das 19. Jahrhundert, als Auswirkung der
Aufklärung, großartige technische Neuerungen hervorgebracht hatte, schrieben
Mary Shelley „Frankenstein (veröffentlicht 1818)“ und Robert Louis Stevenson
„Mr Jekyll and Mr Hyde (veröffentlicht 1886)“, die unter der Bezeichnung
„Gothic Novels“ laufen.
Und heute? In einer Zeit, in der auch das „Auf
die Toilette gehen“ schon automatisiert und technisiert ist, in der ein Leben
ohne Technik völlig unmöglich scheint, wird Esoterik und esoterische
Literatur immer beliebter. Wahrscheinlich wissen die meisten Anhänger dieser
Richtung überhaupt nicht, woher dieses Wort eigentlich kommt, oder was es
bedeutet. Es kommt aus dem Altgriechischen und wurde zum Beispiel von
Gotthold Ephraim Lessing in seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ für Leute
angewandt, die in die Geschehnisse der Theaterwelt eingeweiht waren, die
anderen waren für ihn die Exoteriker, oder Außenstehenden.
Esoterik hat sehr oft auch ein politisches
Gesicht. Die letzten, nationalistischen Wellen laufen durch Europa, mit
Schamanen, die 2012 im ungarischen Parlament um die dort ausgestellte
„Heilige Königskrone“ tanzten.
Eine ländliche Gegend mit vielen Einsiedlerhöfen
und einem Dorf mit einer Kirche, einer Kneipe und hauptsächlich älteren
Bewohnern, weil die jüngeren fast ausnahmslos in die Stadt abgewandert sind.
Es wird viel über die Jugend, Juden, Zigeuner, Einwanderer, Stadtbewohner und
so weiter gesprochen. Jeder Neuankömmling, jedes neue Geräusch, selbst neue
Tiere werden misstrauisch aber auch mit Neugier von der Seite betrachtet. Das
Neue soll nicht bemerken, dass es Interesse erweckt hat. In einer
geschlossenen Gesellschaft entsteht unausweichlich ein Mangel an Abwechslung.
Der Wecker klingelt, das Licht im Badezimmer
schaltet sich automatisch ein, sobald jemand eintritt, während die
Kaffeemaschine und der Toaster ihren Funktionen nachkommen. Nur waschen und
anziehen müssen wir uns noch selbst. Wir fahren mit dem Lift in die Garage,
das Tor öffnet sich durch Fernbedienung, das GPS zeigt uns, auf welchen Weg
es keine Staus, Straßenarbeiten oder andere Behinderungen gibt. Die Tür zum
Büro öffnet sich durch den Kontakt der Eintrittskarte mit dem Laserableser.
Der eingeschaltete Computer informiert über die bevorstehende Arbeit. Wie gut
ist es, am Abend ein esoterisches Buch zu lesen.
Amsterdam, das europäische Symbol für
Drogentourismus, innerhalb dieser Stadt der rote Bezirk mit seinen
Coffee-shops, in denen Haschisch legal vertrieben wird. Der größte Teil der
Gäste sind Ausländer, die mit einem zufriedenen Lächeln eine Limonade
trinken, nachdem sie ein paar Haschischzigaretten geraucht haben.
Skandinavische Touristen in zum Beispiel Estland.
Teilweise betrunken bis zur Ohnmacht. Eigentlich sehen sie von ihrem Zielland
nicht viel, weil die Reise- und Getränkekosten noch immer niedriger sind, als
ein Abend in einer schwedischen Kneipe.
Al Capone, der legendäre Mafioso-Chef wurde
reich, weil er davon profitierte, dass Alkohol in den dreißiger Jahren in den
U.S.A. verboten war.
Ein Besucher in Marokko hat seinem Gastgeber eine
Flasche Schnaps oder Branntwein mitgebracht und weiß, dass der Marokkaner
jetzt ein paar Stunden unbrauchbar sein wird, weil jener nämlich die Flasche
sofort bis zum letzten Tropfen leert.
Nicht nur die heutige Presse beschäftigt sich mit
kirchlichen Institutionen, in denen Minderjährige sexuell missbraucht wurden
und wahrscheinlich werden, wobei die Übeltäter der weltlichen Gerichtsbarkeit
nicht überstellt werden. Auch klassische Schriften erzählen davon, dass sich
ein älterer Priester oder eine ältere Priesterin in ein jüngeres Mitglied der
ihm oder ihr anvertrauten Kinderschar verliebte. Ein puritaner Verein gebärt
zwangsläufig Perversitäten.
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Sonntag, 2. August 2020
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