Samstag, 8. August 2020

88) ganz anders
Written by Rainer: rainer.lehrer@yahoo.com
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334 79 74
------------------------------

Ganz anders

Es war 6 Uhr, Zeit zum Aufstehen, Frühstück machen, die Kinder in den Kindergarten bringen und dann selbst zur Arbeit gehen. Ihr Lebensgefährte Paolo leitete eine Arbeitsgruppe von ausländischen Hilfsarbeitern im Bauwesen, Maysa war Buchhalterin. Sie hatten gemeinsame Kinder, aber nicht geheiratet, weil beide Familien gegen die Verbindung waren.
Probleme gab es immer, aber grundsätzlich war sie glücklich. Paolo war zwar nach seiner Südländerart ein bisschen Macho, aber wusste doch, wo die Grenzen lagen, weil er es ganz anders machen wollte, wie sein Vater. Die Beziehung seiner Eltern war eine von oben nach unten. Der Vater bestimmte und die Mutter musste gehorchen. Wenn das Familienoberhaupt dann mal Probleme hatte, konnte er dieses mit seiner Frau natürlich nicht besprechen, weil jene einerseits nicht daran gewöhnt war, einen eigenen Standpunkt zu vertreten, andererseits zu wenig von der Welt um sie herum wusste, um sich eine eigene Meinung bilden zu können, weil sie ja das Haus fast nie verließ.
Sowohl Maysa, wie auch Paolo gehörten zur zweiten Generation von Einwanderern. Seine Vorgeschichte war ruhiger, weil Männer vielleicht einfach ganz anders behandelt werden.
Im Alter von 13 lief sie von ihrer Familie weg. Sie hatte Angst, wie ihre größere Schwester, in das Land ihrer Ahnen zurückgebracht zu werden, um dort einen Mann zu heiraten, den sie vorher nie gesehen hatte. Sie wollte in Europa bleiben, sie hatte Träume. Der Kontrast zwischen dem Leben ihrer Mutter und dem der Mütter der deutschen Schulkameradinnen war einfach zu groß. Zuerst war sie dann ein Jahr in einem Kinderheim gewesen, bevor man geeignete Adoptiveltern für sie gefunden hatte.
Zu den ausländischen, männlichen Jugendlichen aus ihrem Heimatland hatte sie ein gemischtes Verhältnis, da einige so ein Mädchen bewunderten, andere ihr Verhalten für einen Verrat an ihrer Kultur hielten. Traf sie zufällig einen der ersteren allein, kam es zu einem ganz normalen Gespräch, standen sie aber in einer Gruppe von mehreren Einwanderer Jungs zusammen, gab es üble Nachrede. Anscheinend hatten sie entweder nicht den Mut, oder nicht genügend Vertrauen untereinander, um ihre Sympathie gegenüber der Rebellin einzugestehen.
In der Schule lief es eigentlich ganz normal. Sie war nicht gerade die Beste, konnte aber mit viel Lernen über dem Durchschnitt das Abitur ablegen. Die Adoptiveltern waren auch keine Übermenschen, sondern einfach ganz normale Leute, die mit einem Kind ein bisschen Leben in ihren Alltag bringen wollten.
Und dann lernte sie Paolo kennen, der sich anfänglich wie ein richtiger Macho benahm. Mit der Zeit aber lernte er, sie wegen ihrer Selbständigkeit und Willenskraft zu schätzen.
Vor einiger Zeit hatte sie sich einer Hilfsorganisation für ausländische Frauen angeschlossen, und dabei war es ihre Aufgabe, sich mit Mädchen im Schulalter zu beschäftigen, da sie dieses Gebiet ja aus eigener Erfahrung kannte. Es wunderte sie nicht, dass es noch immer so viele Fälle wie den ihren gab. In der Welt musste sich noch viel ändern.
Auch in Europa war nicht alles aus Schokolade. Das Leben der Frauen war zwar ziemlich frei, aber oft konnte man das Gefühl bekommen, dass sich die Gesellschaft in Wirklichkeit eigentlich um niemanden kümmern wollte. Jeder war nur mit sich selbst beschäftigt. Hier lag sicherlich der Hund vergraben. Entweder wollte man mehr Freiheit und musste dabei eine Gleichgültigkeit der anderen akzeptieren, oder sehnte sich nach Fürsorge und erhielt Einmischung ins Privatleben.
Solidarität funktioniert nur auf der Grundlage von gleichen Interessen. Die Menschheit hatte schon einen weiten Weg zurückgelegt und ihre Kinder und später Enkel würden es bestimmte besser haben.


-----------------------------------------------
--------------------------------------------------
-------------------------------------------------
---------------------------------------------------

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen