Montag, 10. August 2020

100) auf und ab
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Auf und ab!

Der kleine Familienbetrieb, den er von seinem Vater übernommen hatte, lief nicht gerade gut und deshalb war er sehr froh, eine Einladung vom Bürgermeister erhalten zu haben, ein Abendessen auf einem kleinen Luxusschiff. Es war ihm klar, dass dies nicht wegen seiner „schönen blauen Augen“ geschah, hier sollten neue geschäftliche Verbindungen geknüpft werden. Wenn man mit den richtigen Leuten bekannt ist, wird man wettbewerbsfähiger. Und auf diesen Abend bereitete er sich jetzt vor.
Der Bürgermeister war nicht unbedingt ein angenehmer Mensch, weil er auf dem Weg nach oben viele Füße hatte küssen müssen, und dies nun auch von allen erwartete, die von „seiner“ Torte etwas abhaben wollten. Unsere Hauptperson hatte das Oberhaupt der Stadt schon einmal in einer Situation gesehen, als ein hohes Tier aus der Landesverwaltung bei ihm eintraf. „Natürlich, Herr XY, wird sofort erledigt, Herr XY, ohne mich selbst loben zu wollen, habe auch ich schon daran gedacht, Herr XY, ……………..“ Dann drehte er sich herum und brüllte einen seiner Untergebenen an. Wenn er etwas von einem Vorgesetzten wollte, konnte er überhöflich sein, aber wenn er etwas von einem Untergebenen verlangte, benahm er sich wie Nero persönlich.
Es war schon zwei Uhr und er wollte eigentlich noch zum Friseur gehen, außerdem musste er seinen Anzug aus der Reinigung abholen. Vielleicht würde er heute Abend auch ein paar Worte mit der Tochter des Bürgermeisters sprechen können, sie waren doch zusammen in die Schule gegangen.
Der Abend kam, er fand sich am Anlegesteg ein, aber niemand oder kein Schiff war weit und breit zu sehen. „Ich werde wohl einfach zu früh angekommen sein.“ – dachte er bei sich. Er sah auf die Uhr. „Richtig, eine halbe Stunde zu früh.“ Er wartete. Nach zwei Stunden ließ sich noch immer niemand blicken. Als er das so stand und eine Zigarette nach der anderen rauchte, fuhr eine schwarze Limousine langsam an ihm vorbei. Das Fenster war einen Spalt heruntergedreht, durch den er das Gelächter einer kleinen Gesellschaft hören konnte. Man hatte sich über ihn lustig gemacht, das war die Wasserprobe. Sein Telefon klingelte, er holte es aus der Hosentasche, keine Nummer, er nahm das Gespräch an, eine Frauenstimme, es war die Tochter des Bürgermeisters, sie fragte: „Kommst du morgen zu uns zum Abendessen?“ Er zögerte einen Augenblick, dann antwortete er schnell: „Natürlich! Um wieviel Uhr?“
Auf dem Weg nach Hause schossen ihm ein paar Gedanken durch den Kopf: War er wirklich so tief gesunken? Was wollte und konnte er erreichen? Es war ihm klar, dass man über ihn lachte. Der Bürgermeister wusste jetzt, dass er bereit sein würde, sehr viele Füße zu küssen.
Am nächsten Abend ging er zur Villa des Bürgermeisters, sie lag ein bisschen außerhalb der Stadt, mit einer hohen, undurchsichtigen Umzäunung aus drei Meter Mauer und darüber hinausragend eine dichte Baumreihe. Kein Licht, er klingelte, noch einmal, wartete ein bisschen. Gerade wollte er die Blumen, die er für seine ehemalige Schulkameradin gekauft hatte, wegwerfen, als sich das kleine Tor öffnete. Da stand sie, mit einem entwaffnenden Lächeln. Er überreichte ihr die Blumen, gemäß seiner Erinnerung waren dies ihre Lieblingsorchideen, weil sie Rosen nicht mochte, zu unterwürfig, wie sie es nannte.
Der gepflasterte Weg führte zu einer prachtvollen, halbrunden Treppe, das Löwenspalier fand er ein bisschen kitschig aber teuer. Dann ging es weiter durch eine geräumige Vorhalle, durch eine Flügeltür in den Speisesaal. Er konnte nur zwei Gedecke erkennen. Sie bemerkte seine Verwunderung, aber stellte die Blumen in eine Vase und wies ihm einen Platz zu. Sein Erstaunen wurde noch größer, als sie anfing, nicht über alte Schulzeiten oder romantische Dinge, sondern über ein großes Projekt zu sprechen. Sie redete, als hätte sie alle Fäden in der Hand. Wie sehr sie sich verändert hatte! Als er sie jetzt noch genauer betrachtete, konnte er hinter der Schminke harte Züge erkennen. Er war nicht auf diese Verhandlung vorbereitet, was sich später noch rächen sollte, weil es in dem Vertrag einige Klauseln gab, die ihn und seinen Familienbetrieb eng an die Geschäfte des Bürgermeisters binden sollten. Wie er sich nach Jahren erinnern sollte, bekam er von ihr bei den brenzligen Stellen immer ein unschuldiges Lächeln, dann streichelte sie seinen Arm. Sie spielte mit ihm, wie die weibliche Spinne, die, nachdem sie begattet worden ist, das männliche Tier auffrisst. Nach der Unterzeichnung gab sie ihm einen Kuss und lag in seinen Armen.
Als er am nächsten Morgen im fremden Bett aufwachte, fand er neben sich einen kleinen Tisch mit Frühstück und einen parfümierten Brief. „Guten Morgen, Liebling! Du weißt, was wir besprochen haben!“ Noch einen Moment blieb er liegen, schloss wieder die Augen. Zu seiner Schulzeit hatte er immer davon geträumt, sie zu erobern. Gestern Nacht hatte sie sich ihm hingegeben. Sie war gut im Bett, aber irgendetwas fehlte. Berechnung war an die Stelle des Gefühls getreten. Er spürte eine seltsame Spannung in der Magengegend, wie nach einer Prüfung, von der er überhaupt nicht ahnte, wie sie ausfallen würde.
In den nächsten Monaten erledigte er seine Geschäfte, oder besser: erledigte seine Aufgaben. Sein Bankkonto wuchs, doch er war nicht mehr der Alte. Manchmal verbrachten sie eine Nacht zusammen. Dies war meist die Belohnung für ein Geschäft. Es sollte eigentlich eine Art Krönung der Ereignisse sein, aber er hatte inzwischen gelernt, seine Rolle zu spielen. Ab und zu überfiel ihn der Gedanke, dass sie vielleicht ahnte, er war nicht mehr der Gleiche.
Der Bürgermeister hielt ihn und ähnliche Leute zwar auf einer gewissen Stufe, passte aber doch auf, dass sie seiner Position nicht über den Kopf wuchsen. Unsere Hauptperson war sich auch nicht ganz sicher, ob er der einzige war, der die süßen Früchte der Tochter genoss. Weil er einer der treuesten Diener war, oder vielleicht am besten seine Rolle spielte, wurde sein Geschäft größer und die Stadt für ihn kleiner.
Jahre vergingen und das unbekümmerte Desinteresse der Einwohner bot anderen Parteien oder Gruppen keine Möglichkeit, eine wirksame Opposition aufzubauen, deshalb blieben dunkle Geschäfte unaufgedeckt. Bei Bauprojekten zum Beispiel wurde Material gespart, wo es nicht unbedingt sichtbar war und an anderen Stellen noch einmal verrechnet. Unfälle waren keine Seltenheit, wurden dennoch meist auf menschliches Versagen zurückgeführt.
Es war ein lustiges Spiel, zu sehen, wie sein Konto doppelt so schnell wachsen konnte. Doch, wohin mit dem Geld? Er war vorsichtig und wollte nicht, dass es zu sehr auffällt, obwohl die Tochter des Bürgermeisters ihn immer wieder ermutigte, sich endlich seines Standes gemäß zu benehmen. Langsam taute er auf, und nachdem er genügend gereist war, wurde ein gutes Auto gekauft, die Einrichtung seiner Wohnung erneuert, der örtliche Tennisclub besucht. Er war ein sportlicher Typ und lernte es schnell, wurde bald der beste Spieler, weil er seinen Reichtum nicht in seinen Bauch steckte, war erfolgreich und gefragt.
Unter den Zuwanderern in der Stadt befanden sich vor allem Leute aus dem ärmeren, östlichen Teil des Landes, Ausländer waren selten. Ein junges Mädchen fiel ihm auf. Oder vielleicht er ihr? Sie kamen sich näher, trafen sich häufiger, ein Verhältnis begann. Die Tochter des Bürgermeisters wurde eifersüchtig, mehrmals kam es zu offenem Streit.
Und dann geschah ein schwerer Unfall in einer Fabrik, giftige Stoffe wurden freigesetzt, mehrere Leute mussten ins Krankenhaus gebracht werden, die Fische im nahegelegenen Fluss starben. Naturschützer aus dem ganzen Land reisten an, organisierten Demonstrationen, die Presse belagerte das Haus des Betreibers der Fabrik und das Bürgermeisteramt. Eine unabhängige, überregionale Kommission wurde einberufen, um die Geschehnisse genauer zu untersuchen.
Diese bestimmten Klauseln in den Verträgen ließen unseren Helden der Geschichte als Betrüger und Verantwortlichen erscheinen. Wenn er darüber nachdachte, war das Geld, das er damit verdient hatte, eigentlich ziemlich wenig gewesen, um ihm den ganzen Skandal in die Schuhe zu schieben. Als die Gerichtsverhandlung begann ließen ihn sowohl die Tochter des Bürgermeisters, als auch das junge, hübsche Mädchen wie eine heiße Kartoffel fallen. Hochverschuldet verlor er den Familienbetrieb. Am Ende zog er in eine andere Stadt. Nicht weil er sich schämte, sondern weil er hoffte, dort neu anfangen zu können.
Und dort lernte er die gerade geschiedene Tochter des Bürgermeisters kennen. ………………………


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