105) Sicherheit
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Sicherheit
Er kam gerade aus der Fabrik, acht Stunden
monotone Arbeit neben der Maschine, drei Schichten, einmal von sechs bis
vierzehn Uhr, dann von vierzehn bis zweiundzwanzig Uhr und ein andermal von
zweiundzwanzig bis sechs Uhr.
Aber es lohnte sich, die Bank bewilligte ihm
endlich den Kredit für sein Traumauto. Kein Porsche, weil natürlich auch
seine Frau und Kinder darin Platz haben mussten. Trotzdem machten sie lange
Gesichter, als sie erfuhren, dass es in den nächsten sechs Jahren keinen
Sommerurlaub am See mehr geben sollte, weil sonst die Zahlungsraten nicht
beglichen werden konnten.
Auf dem Parkplatz des eingezäunten Fabrikgeländes
parkte sein Auto, sogar mit Sicherheitsbeamten. Auf diese Weise konnte er
wenigstens ruhig arbeiten, weil er wusste, dass niemand an seinen Wagen herankommen
würde. Angekommen bei seinem Prachtstück ging er einmal herum, um es zu
bewundern und sich zu versichern, dass keiner seinem Liebling beim Einparken
eine Schramme zugefügt hatte. Langsam rauchte er seine Zigarette zu Ende,
sein nobles Gefährt mit ungeheurer Pferdestärke sollte doch sauber bleiben.
Auch seine Frau und Kinder machte er immer darauf aufmerksam, nicht mit
schmutzigen Schuhen einzusteigen.
Der Schlüssel schlüpfte fast von selbst in die
Mündung und mit einer kleinen Bewegung öffneten sich automatisch alle Türen.
Das Radio drinnen war auf seinen Fußballsender eingestellt, „Immer am Ball“
hieß die Devise. Wenn er seinen Kindern einen normalen Computer gekauft
hätte, könnte er jetzt die Spiele im Internet anschauen. Wozu hatte man denn
einen Fernseher. Dabei musste er sich aber leider nach den Sendezeiten
richten.
Sein Verein hatte wieder verloren, doch in dem
neuen Auto hörte sich die Nachricht weniger erschütternd an, er pfiff sogar
noch ein kleines Lied, das bei Spielen aus voller Kehle nicht gesungen,
sondern gebrüllt wurde.
„Hei, du Idiot! Warum gehst du gerade jetzt über
die Straße? Willst du vielleicht, dass ich meine Bremsen und Autogummis
abnutze?“ Der Fußgänger sprang erschrocken auf den Gehsteig zurück. Wussten
die denn nicht, dass er ein neues Auto hat? Er fühlte, die ganze Welt drehe
sich nur um ihn. Die Nachrichten im Radio berichteten, dass die Regierung im
Nachbarland, eine Grundgesetzänderung wegen der Terroristengefahr vornehmen
wolle, aber dass dies eigentlich gegen die eigenen Bürger gerichtet ist, um
Demonstrationen zu verhindern. „Das bräuchten wir hier auch!“ – dachte er bei
sich. „Die haben doch bei den Demonstrationen auch noch Autos angezündet. Es
ist ein Witz der Geschichte, dass genau die, die damals den Schaden verursacht
hatten, jetzt an der Regierung so etwas mit Gesetzen verhindern wollten. Das
Gesetz und die Polizei als Druckmittel.“
Schließlich kam er in der Wohnsiedlung an.
Zehnstöckige Betonhäuser soweit das Auge reichte. Stolz fuhr er durch den
Dschungel. Alle mussten einen neidischen Blick auf seine Errungenschaft
werfen. Das entschädigte ihn für die täglichen Erniedrigungen in der Fabrik.
Sein Abteilungsleiter musste sich um seine alte, kranke Mutter kümmern und
hatte sich deshalb nur einen Gebrauchtwagen leisten können. Nun, dieser
Vorgesetzte sah es nicht gern, wenn einer seiner in der Rangordnung unter ihm
stehenden Mitarbeiter ein besseres Auto fuhr. Bei jeder Begegnung ließ ihn
dieser Chef fühlen, dass er genau wegen des neuen Wagens in der Hand des
Vorgesetzten ist. Feuerte man ihn, würde er seinen Liebling verkaufen müssen.
Wieder kein Parkplatz! Eigentlich gab es für
zweihundert Wohnungen zwanzig Autoabstellmöglichkeiten. Er musste sein sauber
poliertes Gefährt in den Dreck stellen. Und eine Garage konnte er sich nicht
leisten. Er stieg aus und ging auf das Hochhaus zu, in dem er wohnte. Er
hatte schon die Tür geöffnet, als es ihm durch den Kopf schoss, dass er
vergessen hatte, die Scheinwerfer auszuschalten. Er ging zurück, die Batterie
würde bis morgen leer sein. Aber alles war ausgemacht. Beruhigt bewegte er
sich wieder in Richtung Haustür. Der Lift funktionierte nicht, aber warum
sollte er sich wundern, auch er bezahlte die Nebenkosten für die Wartung des
Hauses nicht. Er wohnte im zehnten Stock. Er musste die Treppe benutzen. Im
zweiten Stock angekommen fiel ihm ein, dass er vielleicht die Türen nicht
verriegelt hatte. Schnell trugen ihn seine Füße nach unten. Fahrertür,
Beifahrertür, hintere Mitfahrertüren, alles in Ordnung! Beim dritten Versuch
auf dem Weg in seine Wohnung erreichte er den fünften Stock, er kehrte um,
weil das Radio, die Motorhaube und die Kofferraumtür kontrolliert werden
musste. Als er endlich oben ankam, das machte er jeden Tag mehrmals,
vielleicht war er sogar fitter, als die Spieler, für die er schwärmte, hatte
die Übertragung des Fußballspiels schon begonnen. Rasch schaltete er den
Fernseher ein, holte eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf
dem Sofa nieder, um das Geschehen auf dem grünen Rasen zu genießen.
Ein Quietschen von Bremsen erweckte ihn aus
seiner Sorgenlosigkeit. Hatte jemand seinen Liebling angefahren, oder wurde
dieser gar gerade gestohlen? Er sprang auf, war mit einem Satz am Fenster und
suchte die Gegend nach Verdächtigen ab. Nicht einmal das Schreien des
Fußballreporters wegen eines Tores konnte ihn vom Fenster locken. Diese Nacht
schlief er sehr schlecht, deshalb beschloss er am nächsten Morgen sofort zur
Polizei zu gehen, um eine Streife für diesen Teil der Wohnsiedlung zu
fordern. Außerdem setzte er noch in der Nacht einen Brief an den Gesetzgeber
auf, in dem er die Erhöhung der Strafe für Autodiebstahl verlangte.
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Mittwoch, 12. August 2020
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