Mittwoch, 12. August 2020

105) Sicherheit
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Sicherheit

Er kam gerade aus der Fabrik, acht Stunden monotone Arbeit neben der Maschine, drei Schichten, einmal von sechs bis vierzehn Uhr, dann von vierzehn bis zweiundzwanzig Uhr und ein andermal von zweiundzwanzig bis sechs Uhr.
Aber es lohnte sich, die Bank bewilligte ihm endlich den Kredit für sein Traumauto. Kein Porsche, weil natürlich auch seine Frau und Kinder darin Platz haben mussten. Trotzdem machten sie lange Gesichter, als sie erfuhren, dass es in den nächsten sechs Jahren keinen Sommerurlaub am See mehr geben sollte, weil sonst die Zahlungsraten nicht beglichen werden konnten.
Auf dem Parkplatz des eingezäunten Fabrikgeländes parkte sein Auto, sogar mit Sicherheitsbeamten. Auf diese Weise konnte er wenigstens ruhig arbeiten, weil er wusste, dass niemand an seinen Wagen herankommen würde. Angekommen bei seinem Prachtstück ging er einmal herum, um es zu bewundern und sich zu versichern, dass keiner seinem Liebling beim Einparken eine Schramme zugefügt hatte. Langsam rauchte er seine Zigarette zu Ende, sein nobles Gefährt mit ungeheurer Pferdestärke sollte doch sauber bleiben. Auch seine Frau und Kinder machte er immer darauf aufmerksam, nicht mit schmutzigen Schuhen einzusteigen.
Der Schlüssel schlüpfte fast von selbst in die Mündung und mit einer kleinen Bewegung öffneten sich automatisch alle Türen. Das Radio drinnen war auf seinen Fußballsender eingestellt, „Immer am Ball“ hieß die Devise. Wenn er seinen Kindern einen normalen Computer gekauft hätte, könnte er jetzt die Spiele im Internet anschauen. Wozu hatte man denn einen Fernseher. Dabei musste er sich aber leider nach den Sendezeiten richten.
Sein Verein hatte wieder verloren, doch in dem neuen Auto hörte sich die Nachricht weniger erschütternd an, er pfiff sogar noch ein kleines Lied, das bei Spielen aus voller Kehle nicht gesungen, sondern gebrüllt wurde.
„Hei, du Idiot! Warum gehst du gerade jetzt über die Straße? Willst du vielleicht, dass ich meine Bremsen und Autogummis abnutze?“ Der Fußgänger sprang erschrocken auf den Gehsteig zurück. Wussten die denn nicht, dass er ein neues Auto hat? Er fühlte, die ganze Welt drehe sich nur um ihn. Die Nachrichten im Radio berichteten, dass die Regierung im Nachbarland, eine Grundgesetzänderung wegen der Terroristengefahr vornehmen wolle, aber dass dies eigentlich gegen die eigenen Bürger gerichtet ist, um Demonstrationen zu verhindern. „Das bräuchten wir hier auch!“ – dachte er bei sich. „Die haben doch bei den Demonstrationen auch noch Autos angezündet. Es ist ein Witz der Geschichte, dass genau die, die damals den Schaden verursacht hatten, jetzt an der Regierung so etwas mit Gesetzen verhindern wollten. Das Gesetz und die Polizei als Druckmittel.“
Schließlich kam er in der Wohnsiedlung an. Zehnstöckige Betonhäuser soweit das Auge reichte. Stolz fuhr er durch den Dschungel. Alle mussten einen neidischen Blick auf seine Errungenschaft werfen. Das entschädigte ihn für die täglichen Erniedrigungen in der Fabrik. Sein Abteilungsleiter musste sich um seine alte, kranke Mutter kümmern und hatte sich deshalb nur einen Gebrauchtwagen leisten können. Nun, dieser Vorgesetzte sah es nicht gern, wenn einer seiner in der Rangordnung unter ihm stehenden Mitarbeiter ein besseres Auto fuhr. Bei jeder Begegnung ließ ihn dieser Chef fühlen, dass er genau wegen des neuen Wagens in der Hand des Vorgesetzten ist. Feuerte man ihn, würde er seinen Liebling verkaufen müssen.
Wieder kein Parkplatz! Eigentlich gab es für zweihundert Wohnungen zwanzig Autoabstellmöglichkeiten. Er musste sein sauber poliertes Gefährt in den Dreck stellen. Und eine Garage konnte er sich nicht leisten. Er stieg aus und ging auf das Hochhaus zu, in dem er wohnte. Er hatte schon die Tür geöffnet, als es ihm durch den Kopf schoss, dass er vergessen hatte, die Scheinwerfer auszuschalten. Er ging zurück, die Batterie würde bis morgen leer sein. Aber alles war ausgemacht. Beruhigt bewegte er sich wieder in Richtung Haustür. Der Lift funktionierte nicht, aber warum sollte er sich wundern, auch er bezahlte die Nebenkosten für die Wartung des Hauses nicht. Er wohnte im zehnten Stock. Er musste die Treppe benutzen. Im zweiten Stock angekommen fiel ihm ein, dass er vielleicht die Türen nicht verriegelt hatte. Schnell trugen ihn seine Füße nach unten. Fahrertür, Beifahrertür, hintere Mitfahrertüren, alles in Ordnung! Beim dritten Versuch auf dem Weg in seine Wohnung erreichte er den fünften Stock, er kehrte um, weil das Radio, die Motorhaube und die Kofferraumtür kontrolliert werden musste. Als er endlich oben ankam, das machte er jeden Tag mehrmals, vielleicht war er sogar fitter, als die Spieler, für die er schwärmte, hatte die Übertragung des Fußballspiels schon begonnen. Rasch schaltete er den Fernseher ein, holte eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf dem Sofa nieder, um das Geschehen auf dem grünen Rasen zu genießen.
Ein Quietschen von Bremsen erweckte ihn aus seiner Sorgenlosigkeit. Hatte jemand seinen Liebling angefahren, oder wurde dieser gar gerade gestohlen? Er sprang auf, war mit einem Satz am Fenster und suchte die Gegend nach Verdächtigen ab. Nicht einmal das Schreien des Fußballreporters wegen eines Tores konnte ihn vom Fenster locken. Diese Nacht schlief er sehr schlecht, deshalb beschloss er am nächsten Morgen sofort zur Polizei zu gehen, um eine Streife für diesen Teil der Wohnsiedlung zu fordern. Außerdem setzte er noch in der Nacht einen Brief an den Gesetzgeber auf, in dem er die Erhöhung der Strafe für Autodiebstahl verlangte.


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