Freitag, 7. August 2020

82) der bewusste, deutsche Bürger
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Der bewusste, deutsche Bürger

Ein alter Wecker aus Großvaters Zeiten klingelt. Er braucht keinen Strom, man muss ihn aufziehen. Hans wacht auf seinem selbstgezimmerten Bett auf. Es ist vier Uhr. Jetzt muss er die Kuh und die Ziege melken, dann das Schwein, die Hühner, den Hund und die Katze füttern. Bevor er ins Büro fährt, lässt er die Tiere noch in den umzäunten Garten. Während er arbeitet hält der Hund Wache.
Dann fährt er los. Der Dieselmotor seines alten Mercedes brummt. Er müsste wieder einmal vom Mechaniker überprüft und neu eingestellt werden. Zudem verliert er Öl.
Aber Hans hat jetzt dafür keine Zeit. Er muss schnell in die 50 km entfernte Stadt fahren. Er arbeitet dort als Angestellter in der Personalabteilung. Wenn er sich nicht beeilt, wird er sich noch verspäten. Mit 160 nimmt er die letzte Kurve zur Autobahnauffahrt.
Er hatte sich geschworen auf seinem Einsiedlerhof so wenig Technik wie möglich zu installieren, hat einen Brunnen statt fließendes Wassers, benutzt seine Autobatterie, wenn er wirklich mal ein bisschen Lampenlicht braucht, aber normalerweise geht er mit den Hühnern ins Bett und steht mit dem ersten Hahnenschrei auf. Außerdem heizt er mit Holz aus seinem kleinen Wäldchen.
Als er sich ein paar Mal verspätete, oder im Winter nicht zur Arbeit fahren konnte, weil der meterhohe Schnee nicht geräumt worden war, legte sein Chef ihm nahe, sich doch wenigstens eine Antenne aufs Dach zu setzen, um via Internet mindestens die wichtigsten Sachen zu erledigen. Auch sein Handy lässt er immer im Büro, weil er diesen Kontrast zur modernen Welt braucht. „Zurück zur Natur!“ - hieß damals seine Devise. Und er hat bis jetzt durchgehalten.
Er hätte auch gerne seinen Kindern dieses zurückgebliebene Leben aufgezwungen, aber seine Exfrau hatte bei der Scheidung das Erziehungsrecht bekommen und war in die Stadt zurückgezogen. „Hier gibt es ja nicht einmal einen Tierarzt!“ meinte sie. Jetzt kommen seine Tochter und sein Sohn jedes zweite Wochenende. Jasmin, den Namen für die Tochter hatte die Mutter des Kindes durchgesetzt, er hätte sie Krimhild oder Brunhild benannt, wollte Kosmetikerin werden. Sein Sohn Matthias, für ihn wäre es Siegfried geworden, schwärmte für schnelle Autos, die neuesten Computerspiele und Basketball. „Sag wenigstens ‚Korbball‘!“ sagte er ihm immer wieder.
Seine Kinder kommen nicht gern zu ihm und als sie zu Weihnachten ein Amulett bekamen, das sie vor bösen Geistern bewahren sollte, brach Jasmin, 16 Jahre alt, in großes Gelächter aus und meinte, dass man in einem zivilisierten Land nicht mehr um den Marterpfahl herumtanzen sollte. Sein Sohn, 15 Jahre alt, hielt seinen Vater für das Indianerspielen ein bisschen zu alt. Seltsam sei ihm diese Mischung von „Grün und Braun“. Aber die Idee, seinem Vater zum Geburtstag ein Steckenpferd zu schenken, ließ er fallen, als dieser ihm erklärte, dass die Germanen keine Reittiere in Anspruch genommen hatten. Das seien die Ungarn gewesen, die, nach dem sie tausend Jahre später als die Germanen endlich vom Baum gestiegen waren, nicht laufen, sondern in den Steppen sofort reiten gelernt hätten.
Im Büro trägt er Anzug, Krawatte und Brille. Er lässt sozusagen seine Überzeugung zu Hause, weil er die doch irgendwie finanzieren muss. Also nicht nur „Grün und Braun“, sondern auch „Farblos“?
Aber er hofft, dass die Germanen irgendwann wieder einmal zu ihrer würdigen Größe kommen. Sie bräuchten nur einen starken Führer, Armin der Cherusker, Otto, Wilhelm und Hitler.


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