Sonntag, 9. August 2020

92) der unangenehme Mensch
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Der unangenehme Mensch

Alle waren in Abendkleidung gekommen, nur er stand in Shorts, T-Shirt und Badeschlappen da.
Wieder rauchte er demonstrativ seine Zigarette, dann ging er eilenden Schrittes durch den Saal und schloss mit den Worten „von diesen Autoabgasen könnte man ja fast ersticken“ das Fenster.
Als der Aperitif serviert wurde, packte er seine Wasserpfeife aus, um neben dem Alkoholgestank auch die Parfümwolken durch ein bisschen Haschischduft um sich herum zu verdrängen.
Aus irgendeinem Grund stellte sich ein Moment der Ruhe ein und bevor es wieder laut werden konnte, schlug er leicht mit einem Löffel an sein Mineralwasserglas, er trank nämlich keinen Alkohol, um die Aufmerksamkeit eines jeden Anwesenden auf sich zu richten und sagte mit erhobener Stimme: „Ich bin ein kommunistischer Agent!“ Er hatte das eigentlich als einen Witz gedacht, aber als diese Leute ihn mit großen Augen und erschrockenen Gesichtern ansahen, erschrak er selbst, weil er feststellen musste, dass diese noch an jene Märchen glaubten.

Viele sitzen ganz vorn, um angeblich am besten zu sehen und zu hören, aber wahrscheinlich, um eventuell von den Schauspielern besser gesehen zu werden, oder besonders nah dran zu sein, wenn etwas Unerwartetes passieren sollte. Die Reicheren auf den Balkonen wollen sich nur anscheinend verstecken, sie sind die neugierigsten, weil man von dort oben fast alle Zuschauer sehen kann. Unser unangenehmer Mensch befand sich irgendwo unten in der Mitte, weil das Gebäude so angelegt worden war, dass dort die Töne im Zusammenklang am besten zur Entfaltung kommen. An diesem Abend wurde „Faust“ von Gounod aufgeführt. Wir wissen, dass zum Beispiel Verdi verschiedene Arien der weiblichen Hauptrolle für eine bestimmte Sängerin geschrieben hat, so auch Gounod und das macht es für eine andere besonders schwierig. Als der Sängerin zum zweiten Mal beim höchsten Ton die Stimme brach, wurde es unserem Unangenehmen langsam zu viel. Außerdem konnte er den Mephisto nicht hören, eine der schwierigsten Rollen für tiefe Männerstimmen, weil er zum Beispiel in der Szene in der Kirche ganz hinten stehend, vor ihm das Orchester, leicht vor ihm links und rechts jeweils ein Teil des Chors, eingekreist von allen vieren im Mittelpunkt Margarethe, die tiefsten Töne schallend alle übertönend den erschreckenden Hintergrund bilden muss. Aber der Sänger, der den Valerian, den Bruder von Margarethe verkörperte, erledigte seine Aufgabe mit Bravour. Und nun kurz vor dem Ende der Aufführung wartete unser Skandalöser gespannt auf diese Kirchenszene gekoppelt mit einem Ballett. Der Tanz schien eine neue Choreographie zu sein, aber passte eigentlich ganz gut in die ganze Szene, den kritischen Zustand Margarethes unterstreichend. Mephisto stand im Hintergrund, ein Schatten versteckte sein Gesicht, es war vollkommen. Der einzige Fehler dabei war, dass Valerian in Mephisto-Kleidung die Rolle des Mephistos sang. Nach der Szene traten wie immer die teilnehmenden Sänger vor den heruntergelassenen Vorhang, um den Applaus des Publikums entgegenzunehmen. Und was musste unser Unangenehmer da sehen? Es ist lobenswert, wenn sich jemand vertreten lässt, weil es ein anderer besser macht, aber dass dieser dann die Lorbeeren des Besseren ernten will, geht zu weit. Oder wollte vielleicht die Theaterleitung nicht, dass die dummen Zuhörer etwas von dem Schwindel merken? So stand unser Rebell in Jeans und knallrotem T-Shirt auf und rief, was seine Kehle aushielt: „Betrug! Ich will Valerian, der den Mephisto sang, Beifall zollen.“ Es war sein Glück, dass dies fast das Ende des Stückes ist, weil es keine Pause mehr gibt, in der man ihn dann hätte entfernen können. Und die Leute um ihn herum waren empört, nicht weil sie vom Theater betrogen worden waren, sondern weil er ihren fehlenden Sachverstand aufgedeckt hatte. Unverstand ist im Anzug noch peinlicher.

Es ist Samstag und unser Unangenehmer geht spazieren. Auf den öffentlichen Parkplätzen vor den Häusern waschen sehr viele Männer ihr Auto. Vor einem neuen und besonders schön geputzten Auto, an dem der Besitzer (Ich sage absichtlich nicht Eigentümer, weil das in den meisten Fällen die Bank ist, bis die Schulden nicht ganz beglichen wurden.) gerade die Felgen poliert, bleibt unser Zyniker stehen und sagt: „Deine Frau wird eifersüchtig, wenn sie sieht, wie zärtlich du dein Auto streichelst!“


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