63) Sie oder Sie und Er
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Sie oder Sie und Er
Sie kaufte noch schnell Kaugummi, obwohl sie
eigentlich nie welche kaute. Ihre Freundinnen machten das, um den
Zigarettengeruch zu überdecken, oder wenn sie mit dem Rauchen aufhören
wollten, sonst fand sie, dass es wie wiederkäuende Kühe aussieht. Aber sie
brauchte es jetzt, weil sie sehr erregt war.
Schon seit Wochen hatten sie sich getroffen, doch
heute sollte sie sich erobern lassen. Oder wollte sie ihn für sich gewinnen?
Das Ergebnis ist eigentlich das Gleiche, die Probleme beginnen später: Wer
entscheidet? Wessen Wille wird erfüllt? Eine Beziehung ist keine
demokratische Einrichtung. Die Frage hier ist, wer den anderen mehr liebt,
gefühlsmäßig mehr abhängig ist, oder größere Angst hat, den anderen zu
verlieren.
Sie war jetzt 27 Jahre alt, ein Teil ihrer
Freundinnen und Bekannten war schon verheiratet, eine sogar wieder
geschieden, zum Glück hatte es dort keine Kinder gegeben. Auch ihre Mutter
hatte sie schon gefragt, wann sie sich endlich um ihre Enkel kümmern könne.
Aber war ihre Mutter wirklich glücklich oder
wollte sie damit nur die Probleme ihrer eigenen Ehe vergessen. Ihre Mutter
hatte sehr jung geheiratet, das erste Kind war sehr früh gekommen. Über Sex
konnte man mit ihr nicht sprechen, weil es tabu war. Sie hätte ihre Mutter
gerne gefragt, warum sie mit ihrem Mann nicht mehr in einem Bett schlief,
oder wie es am Anfang gewesen war, oder ob es überhaupt schön gewesen sei.
Während ihr diese Gedanken durch den Kopf
schossen, kam sie dem Treffpunkt immer näher, und auch wenn sie langsam ging,
würde sie 5 Minuten zu früh ankommen. Hatte sie nicht gelernt, dass man den
Mann mindestens 10 Minuten warten lassen soll, Marilyn Monroe hatte gesagt:
„Umso länger sie warten, desto mehr klatschen sie.“ Oder sollte sie
vielleicht die Beziehung auf einer ganz neuen Grundlage aufbauen.
Ihr Vater war ein typischer Macho mit ungefähr
genauso typischen Komplexen. Der, den sie heute treffen sollte, war ganz
anders, ruhiger, fast ein bisschen feminin. Aber er verstand sie besser, als
diese sehr männlichen Typen, die mit Frauen kaum etwas anzufangen wissen.
Eine ihrer Freundinnen hatte sich gerade einen
Süditaliener geangelt und schwärmte: „Endlich ein richtiger Mann!“ Aber von
außen sah die Sache ganz anders aus, einfach ein Tyrann, der sie
herumkommandierte, und das berühmte Temperament war nichts anderes als
Eifersucht. Ihre Freundin konnte nicht einmal mehr mit Freundinnen ausgehen,
und zum Aerobic-Training musste sie in einen Club wechseln, zu dem nur Frauen
gehen.
Am Arbeitsplatz gab es sehr witzige, oder
vielleicht besser seltsame Situationen. Es war ein großes Bürohaus, der
Haupteingang funktionierte automatisch, aber die kleineren Glastüren musste
man ziehen und drücken. Oft konnte man die Verwirrung der Männer sehen, wenn
sie sich so einer Tür näherten und auf der anderen Seite ihnen eine Frau
entgegenkam. Sollten sie jetzt der Frau freundlich die Tür öffnen, dann gab
es zwei mögliche Reaktionen: Entweder bedankte sie sich und dachte: „Jemand,
der die Frau in mir sieht.“ Oder sie sah ihn wütend an, weil er in ihr nicht
den Mitarbeiter sehen wollte. Oder er ging einfach durch, wobei zwei andere
mögliche Reaktionen auftraten: Sie sah ihn wütend an, weil er in ihr nicht
die Frau respektierte, oder sie gingen gleichgültig aneinander vorbei, weil
sie ja „nur“ Kollegen waren.
Die Emanzipation hatte nicht nur Gutes gebracht.
Neuerungen führen anfänglich auch immer zu einem Durcheinander, bis beide
Teile sich an die neuen Verhältnisse gewöhnt hatten. Manchmal war sie gerne
einfach Frau und manchmal lieber vollwertiger Partner.
Sie wohnte allein, seit sie sich von ihrem ersten
Freund getrennt hatte. Es gab keine Erwartungen, aber auch niemanden, der am
Abend auf sie wartete. Aber dieses Warten hatte meist daraus bestanden, wann
das Abendessen endlich auf dem Tisch kam, und im Haushalt hatte er auch nicht
so viel geholfen. Jetzt konnte sie kochen, wann sie es selbst wollte. Zur
Wahrheit gehörte allerdings, dass sie seit dieser Zeit nur noch selten
kochte.
Als ihre Mutter erfuhr, dass die Beziehung zu
Ende war, war sie zuerst geschockt, sie meinte, dass ihre Tochter noch lernen
müsse, wie man mit einem Mann zusammenleben soll. Dann aber kam die
Hasstirade gegen ihren Exfreund: „Wie konnte er dich nur verlassen? Hat der
denn kein Herz!“ Ihre Mutter wusste nicht, dass es eigentlich die
Entscheidung ihrer Tochter gewesen war, das Zusammenleben zu beenden.
Obwohl ihre Mutter in ihrer Ehe überhaupt nicht
glücklich war, konnte sie sich nicht vorstellen, ihren Mann und damit ihr
Unglück zu verlassen. Das war für sie das normale Schicksal der Frau, lieber
unglücklich zusammen, als unglücklich allein, eine andere Möglichkeit gab es
nicht.
Jetzt hörte sie eine Stimme von außen, er hatte
sie angesprochen, sie war angekommen.
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Sonntag, 2. August 2020
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