Mittwoch, 12. August 2020

109) das gleiche Recht für alle
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Das gleiche Recht für alle

Bei vielen Naturvölkern verlassen die Alten, Schwachen oder Kranken die Gruppe, oder sie werden zurückgelassen, manchmal auch ausgestoßen. Nur bei jenen? In den modernen Industrieländern gibt es Altersheime, spezielle Krankenhäuser oder Anstalten. Viele Insassen werden einmal pro Monat, andere überhaupt nicht besucht. Die eine Gesellschaft kann es sich nicht leisten, einen Klotz am Bein zu haben, weil der Existenzkampf zu hart ist. Die andere will es sich nicht erlauben, weil sie glaubt, dann im Konkurrenzkampf mit anderen zurückzubleiben. Von wem könnte man auch erwarten, dass er ganz ohne Belohnung sein Leben für andere aufopfert. Aber einen großen Unterschied gibt es doch. Bei der ersten musst du nicht erklären, warum du sterben willst, du gehst einfach.

Er zündete sich einen halben Zigarettenstummel an und nahm einen Schluck von dem billigen Wein, nach dem sein Gehirn wieder einen kleineren Purzelbaum schlug.
Er war schon seit langem ausgestiegen, machte es noch, solange er das Gefühl hatte, dass es ihm nicht zu viel wurde, oder dafür zu sehr kämpfen zu müssen. Doch jetzt wollte er nicht mehr und hatte sich in einen Teil eines Waldes zurückgezogen, in den sich selten jemand verirrte. Dabei war es geheim geblieben. Es hätte sowieso niemanden interessiert. Er war einfach aus der Stadt gegangen, dann einen Feldweg entlang, später in den Wald und in das Dickicht.
Ein neuer Schluck aus der Plastikflasche gegen die Kälte und wieder ein geistiger Purzelbaum.
Bilder aus seiner Kindheit kamen auf. Es gab oft nichts zu Essen, deshalb wurde das alte Brot mit ein bisschen Fett bestrichen und kurz in den Ofen gelegt. Am sechsundzwanzigsten Dezember war es besser, weil die Christen das, was sie nicht aßen, unter den Armen verteilten. In die Schule ging er gern, nicht weil er den Unterricht, die Lehrer oder seine Mitschüler gemocht hätte, sondern weil es dort einigermaßen warm und sauber war. Er beendete die Schule mit einem mittelmäßigen Zeugnis. Für eine Berufsausbildung aber fehlten die Möglichkeiten. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater waren schwere Trinker, so dass unsere Hauptperson selbst seinen Unterhalt verdienen musste, was mit der geringen Bezahlung eines Lehrlings unmöglich gewesen wäre. Er mietete ein Zimmer in einem Arbeiterwohnheim, um aus dem Dreck herauszukommen. Später lernte er Maria, ein lebensfreudiges Mädchen kennen. Aber auch sie konnte in ihm nicht den Ehrgeiz wecken, einen Beruf zu erlernen und eine Familie zu gründen, oder vielleicht liebte sie ihn nicht genug. Obwohl er den Alkohol eigentlich hasste, weil er gesehen hatte, was er aus seinen Eltern machte, fand er sich immer öfter in der Kneipe ein. Und so langsam rutschte er ab, verlor seinen Arbeitsplatz, an dem man anfänglich mit ihm doch eigentlich ganz zufrieden war.
Als er auch das Zimmer nicht mehr bezahlen konnte und auf die Straße geriet, wurde sein Alkoholproblem nur noch größer, weil dort fast alle tranken, um den Zustand und die Kälte zu verarbeiten. Schlechte Ernährung, die Witterung und der übermäßige Alkoholkonsum zerstörten dann auch noch den Rest an Widerstandskraft und Selbstwertgefühl. Als man ihn fand, waren von ihm eigentlich nur noch die Kleidung, Knochen und ein bisschen Wein in der Plastikflasche übrig. Wenigstens den Ort und die Zeit seines Todes hatte er selbst gewählt.


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