Freitag, 7. August 2020

81) Begabung
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Begabung

Als er 3 Jahre alt war, machte sein Vater ihn zum ersten Mal damit bekannt. Dem Jungen gefiel es, dass nach der Mutter auch der Vater begann, sich für ihn zu interessieren. „Der Kleine stellt sich gar nicht so dumm an!“ – meinte der Alte und seit diesem Tag wurde geübt. Immer länger zogen sich diese Tätigkeiten hin. Nach Tränen versuchte die Mutter, den Vater zu beschwichtigen, aber ohne Wirkung. Sichtlich wollte der Vater seine eigene Erfolglosigkeit mit dem Jungen kompensieren. Strafe und Lob wechselten sich ab.
Oft hörte er andere Kinder im Hof spielen. Mit 5 wurde er erstmals einer kleineren Zuschauergruppe vorgestellt. Aber das Lampenfieber und der durch die Erwartung seines Vaters entstandene Druck machten es ihm unmöglich, sich zu konzentrieren. Damals wäre der Kleine am liebsten nicht nach Hause gegangen.
Als er 10 war starb sein Vater und wochenlang beschäftigte er sich nicht mit dem Traum des Alten. Seine Gedanken führten ihn lieber auf den Hof zu den anderen Kindern, aber ihm fehlte die Fähigkeit, sich mit ihnen zu verständigen. Er hatte den Anschluss verpasst. Weder die Großen wollten etwas von seiner Kunst, noch die Kleinen etwas von seiner Person wissen.
Nach einer Zeit begann er sich wieder mit dem Einzigen zu beschäftigen, was doch 7 Jahre lang jeden seiner Tage bestimmt und ausgefüllt hatte. Irgendetwas musste er doch machen, er konnte ja nicht tatenlos herumsitzen. Langsam fand er wieder seinen Rhythmus. Seine Mutter die eigentlich nichts davon verstand, engagierte einen Lehrer. Aber der war nicht viel besser als sein Vater. Erfolglos, von Zweifeln geplagt und Komplexen getrieben, nahm dieser sich seinem Schützling an. Von seinem Fach hatte der noch irgendwie eine Ahnung, aber auf Kinder verstand er sich nicht.
Mit 17 Jahren war er fertig, oder besser, es gab in der Umgebung keinen, der ihm noch etwas hätte beibringen können. Neugierig, aber auch voller Angst ging er hinaus. Vielleicht würde die Welt doch an seinem Können Gefallen finden.
Man, oder besser Frau begrüßte ihn herzlich, war er doch ganz schön gebaut und in Gegenwart der Jugend fühlt sich das Alter wieder frischer. Man/Frau reichte ihn von Hand zu Hand und versuchte seine Schüchternheit abzubauen. Langsam wurde seine Schale weicher. Aber was für ein Kern sollte sich darunter verbergen?
Dann gelang es endlich einer Vierzigjährigen ihm seine Unschuld zu nehmen. Für sie war es ein wunderbares Gefühl, aber er konnte es noch nicht genießen. Es war ihm unklar, worauf er achten müsse. Hätte er in seiner Jugend so wenig gelernt? – war die Frage, die er sich immer wieder stellte.
Er fühlte auch weiterhin nicht genau, wo bei der ganzen Sache der Genuss hätte sein sollen, aber verstand sehr bald, dass daraus sein Unterhalt und mögliches Vorankommen gesichert sein kann. Leute wurden ihm vorgestellt, die entweder auf die gleiche Weise ausgehalten wurden und ihn deshalb als Konkurrenz betrachteten, oder die sich in dieser Hierarchie der Günste selbst von Fuß zu Fuß nach oben geküsst hatten. Selten ergab sich ein Treffen mit einem eigenständigen Geist, von dem sich etwas hätte abschauen lassen.
Es waren die Wellen, die beim Fall eines Steines in stilles Wasser verursacht werden. Umso weiter die Kreise sich dann entfernten, desto kleiner ist ihre Kraft. Aber im Unterschied zum Wellenspiel, wo sich diese entfernen wollen, um ihren Ruhezustand wiederzugewinnen, hängen die Ringe in dieser Hierarchie verzweifelt am Ursprung der Bewegung. Die Zusammensetzung der Kreise gründet fast ausschließlich auf Unterwürfigkeit, wird aber durch Begriffe wie Begabung und Mode ersetzt.
Dies waren seine Gedanken, wenn er allein war. Befand er sich in Gesellschaft, blendete ihn, wie alle anderen, das Licht, um das in der Nacht Insektenflieger schwärmen. Schaltet man es aus, suchen sie sich nach einiger Verwirrung eine neue seeleneinflößende Quelle.
Bereichert durch diese Erfahrung fühlte er sich einmal dem Dichter gleich, den die Athener den Spartanern statt Soldaten geschickt hatten, um letztere im Kampf zu unterstützen. Die kriegerischen Spartaner wussten nämlich damit, nichts anzufangen. Andermal überfiel ihn Angst, einfach ein Ballast der Gesellschaft zu sein. Er beruhigte sich damit, nicht der einzige zu sein. Schließlich hatte er ja genug Begabung dazu.


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