86) der Alte
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Der Alte
Eine Gruppe junger Leute saß um ihn herum, und er
erzählte, manchmal ein bisschen wie Sindbad über seine Reisen, natürlich
nicht ganz so fantastisch. Merkten seine Zuhörer, wenn er übertrieb oder gar
untertrieb? Vor allem die ersten 10 Jahre, also von 18 bis 28 waren für sie
interessant. Teilweise hörte es sich an, wie ein Actionfilm.
Aber die Ratschläge, die er zu geben wusste,
stammten nicht aus dieser Zeit. Diese abenteuerlichen Jahre bildeten nur die
Grundlage für das, was später die Folgerungen werden sollten. Das Geschehene
war meist sehr einfach und hatte zu jenem Zeitpunkt nur die Wirkung eines
Schocks auf ihn, die wirkliche Erkenntnis stellte sich viel später ein.
Wie oft hatte er zum Beispiel eine Schelle
bekommen, bei der er bloß erkannte, dass eine bestimmte Art von Personen oder
Situationen unangenehme Auswirkung auf Körper und Geist haben können. Warum
er aber diese Behandlung bekommen hatte, leuchtete ihm oft erst viel später
ein. Zum einen, weil es in seinen Augen bis zum heutigen Tag ungerechtfertigt
war, zum anderen, weil es häufig nur dazu diente, das Minderwertigkeitsgefühl
des Schlagenden durch die Erniedrigung des Geschlagenen zu unterdrücken.
Heute standen ihm genau so große, dicke,
verweichlichte Leute gegenüber, aber jetzt hatten sie Angst vor ihm. Sie
erkannten nur, dass er ihnen gefährlich werden konnte, aber warum er sie
bekämpfte, verstanden sie nicht. Sie befanden sich noch immer auf der Stufe
eines Jugendlichen.
Aber hatte er selbst es wirklich gelernt? Er
versuchte, gerecht zu sein, aber konnte seine Wut nicht immer genügend
zähmen. Oft ging es ihm im Kopf herum, warum etwas passierte, und bei
späteren, ähnlichen Situationen war er dann fähig, entsprechend zu reagieren.
Aber bei Unerwarteten löste es in ihm doch noch oft eine unangemessene Reaktion
aus.
Vor allem die Kleinsten, die ihn umgaben, sahen
in ihm einen Helden und ahnten nicht, wie viele Zweifel und Unsicherheit sich
hinter dieser Ruhe verbarg. Auf der anderen Seite genoss er es natürlich,
anerkannt zu werden, dass man ihm vertraute. Absichtlich hatte er sich auf
die Seite der Kleinen gestellt (Willst du groß sein, so stelle dich neben die
Kleinen.), die sich natürlich alle versteckten, wenn es brenzlig wurde und
erst wieder zum Vorschein kamen, wenn die Luft rein war.
Die größten Zweifel kamen ihm bei der Frage, die
er nur sich selbst stellte, mit welchem Recht er das eigentlich machte. Es
gelang selbstverständlich nur selten, diese fast philosophische Frage
befriedigend zu beantworten. Oder warum hielten diese Kleinen nicht alle
zusammen? Dann würden sie keines Großen bedürfen, keinen Führer brauchen.
Es fehlte ihnen an Selbstwertgefühl. Beide,
sowohl der Schinder, als auch die Unterdrückten kamen eigentlich aus dem
gleichen Schlag. Wären sie die Großen, würden sie wahrscheinlich genauso
gnadenlos handeln, wie ihre Unterdrücker. Sie waren um keinen Schimmer
besser, als die anderen.
War dann alles umsonst, alles für die Katz? Was
trieb ihn, weiterzumachen? Und was galt dann die Anerkennung solcher Leute?
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Samstag, 8. August 2020
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